Ich wurde Künstler

Marianne lag wie ein kleines Kindchen an meine Brust gedrückt.
Ich hielt sie und es war, als ob sie schliefe.
Stundenlang war ich so umherspaziert.
Wer mir begegnet wäre, hätte mich für geistesgestört gehalten.
Ein Mensch, den ich liebte, lag in meinen Armen.
Doch es war nur ein Klümpchen Erde, aber mit dieser Erde waren verschiedene Gefühle verbunden, die mir lieb waren.
War dies Menschenliebe?
Waren dies reine menschliche Gedanken?
Oder waren auch diese falsch, gemein und schlecht, oder Einbildung?
War es lediglich, weil ich niemanden besaß, dass ich mich an ihr festklammerte, bei ihr einen Halt suchte?
War ich es wohl wert, dieses Gefühl besitzen zu dürfen?
Ich bejahte es jedenfalls, und war deshalb glücklich.
Zurück auf der Burg wickelte ich sie in ein seidenes Tuch und verstaute sie.
„Schlafe sanft, Marianne, wisse, dass ich dich liebe!
Ich werde unsere Jugend nicht vergessen, ich werde immer an dich denken, vielleicht ist mir das eine Stütze.“
Dann packte ich das Nötige zusammen und stolperte nach draußen.
Mein Fuhrwerk stand schon bereit, schnell fuhr ich davon, als wäre mir der Teufel auf den Fersen.
Die ganze Nacht fuhr ich hindurch, bis zum Nachmittag des nächsten Tages, als die Pferde gewechselt werden mussten.
Ich fuhr wieder weiter.
So schnell wie möglich wollte ich dieses Land verlassen, eher würde ich keine Ruhe haben.
Ich hatte Angst, mein Leben doch noch verlieren zu müssen, und ich wollte leben, denn ich war noch zu jung zum Sterben.
Die Volljährigkeit hatte ich noch nicht erreicht, doch ich überlegt mir alles; so jung, wie ich war, erlebte ich die kühnsten Dinge.
Als Kind dachte ich schon wie die Erwachsenen.
Wo kam diese starke Entwicklung her?
Von meinen Eltern?
Hatte ich das alles geerbt?
Warum war ich dann so ganz anders als sie?
Schuf Gott unterschiedliche Menschen?
War der eine nicht wie der andere?
Wusste Er, was Er geschaffen hatte?
Aber warum dann all diese Widersprüchlichkeiten in den Charakteren?
Warum stieß der eine mit dem anderen zusammen?
Warum akzeptierten sie ihren Besitz und warum war er für mich ein Fluch und ich verachtete alles?
Warum und wozu diente dies?
Hatte es eine Bedeutung?
Säte Gott Zwietracht unter den Menschen?
Er, der Allwissende?
Ich fand, dass der Mensch mehr vom Tier besaß als von jemandem mit intellektuellen Begabungen.
Die Natur um mich herum war wunderschön.
Sie war so vollkommen, dass daran nicht zu zweifeln war.
Nur der Mensch taugte nichts.
Ich zog in ein fremdes Land und war allein auf dieser verfluchten Welt.
Die großen Städte zogen mich an, Orte, an denen Leben war.
Ich wollte Leben sehen und selbst leben und mich durch das Leben bereichern.
Das, was hinter mir lag, war für mich gestorben.
Tot war alles, nur Marianne lebte noch in mir.
In jener Nacht ruhte ich ein wenig und fuhr am nächsten Tag weiter.
Eine Woche war ich nun schon von zu Hause weg und es ging immer weiter.
Alle Gedanken daran wurden trüb.
Neue, ganz andere Kräfte fühlte ich in mich kommen.
Endlich kam ich im Süden an, wo ich blieb.
Meine Papiere versilberte ich, damit musste ich einige Monate auskommen.
Bald hatte ich mich der fähigen Leitung eines großen Meisters unterstellt, der mir die erste Ausbildung gab.
Ich war ein dankbarer Schüler.
Meine Liebe zur Kunst wuchs und ich verstand, was mein Meister meinte, sodass ich schnell Fortschritte machte.
Mein Herz jubelte vor Freude, alles lief nach Wunsch.
Er war sehr von mir angetan.
Ich lernte nahezu Tag und Nacht, sog alles, was mit Kunst zu tun hatte, in mich auf und eignete mir alles an.
Die schwierigsten Lektionen waren für mich bloß Kinderspiel.
Meine Seele sog es auf, ich war mit Leib und Seele Künstler.
Wie glücklich fühlte ich mich.
So vergingen die Jahre ohne Sorgen.
Gut drei Jahre weilte ich hier.
Von meinen Eltern hatte ich nichts mehr gehört.
Ich lebte in der weiten Welt, konnte gehen, wohin ich wollte, denn ich war mein eigener Herr und Meister.
In mir hatte sich schon vieles verändert.
Mein Charakter entfaltete sich, darin lagen viele Eigenschaften, doch die größte und schönste Eigenschaft, die ich selbst zu besitzen fühlte, war meine große Begeisterung für meine schöne Kunst.
Dieses Gefühl wuchs über mich hinaus; darin verlor ich mich und es spornte mich zu großen Dingen an.
Mein Lehrmeister sagte mir eine glänzende Zukunft voraus.
In meiner Kunst lag ein eigener Stil, den man nicht verstand.
Woher jene Gefühle in mir kamen, war für mich ein Rätsel.
Wenn ich auf diese Weise weitermachte, würde ich zu einem anderen Meister wechseln müssen.
Er empfahl mir einen seiner Freunde, der eine eindrucksvolle Höhe erreicht hatte und bei dem ich mein Studium vollenden sollte.
Nach einem Jahr beschloss ich, fortzugehen.
Er war für mich ein Vater gewesen und mit Herz und Seele hatte ich ihn lieb und weinte, als ich fortgehen musste.
„Es muss sein, mein Lantos“, so sprach er, „es muss sein, von mir kannst du nichts mehr lernen.
Du musst deine Gabe bis zum Höchsten entwickeln und dafür brauchst du andere Lehrmeister.“
Notgedrungen ging ich fort.
Ich konnte mich nun freier bewegen, doch ich strebte auf ein einziges Ziel, einen einzigen Punkt zu, das Höchste zu erreichen.
Diese Gabe lag in mir; ich war, wie mein Lehrmeister sagte, ein geborener Künstler.
Gott sei Dank, dachte ich, ich bin also nicht geboren, um zu herrschen.
Keine Sekunde dachte ich mehr an die Vergangenheit, nur, als er diese Worte zu mir sprach.
Ich ließ mich in einer Stadt nieder, in der die Kunst blühte, und nahm eine Konfession an, da dies erforderlich war.
Das Leben jener Zeit werde ich Ihnen nicht beschreiben, nur das, was davon notwendig ist.
Ich folge meinem inneren Weg und fahre fort, Ihnen zu erzählen, wem ich auf meinem Weg begegnete und was ich erlebte.
Etwas ist in all diesen Jahrhunderten identisch geblieben, (hat sich) zumindest wenig, sehr wenig verändert.
Das ist das innere Leben des Menschen, der seine tierische Abstammung noch stets nicht leugnen kann.
Der Mensch hat sich in nichts verändert; im Gegenteil, es ist, als ginge es mit ihm bergab, aber das ist in Wirklichkeit nicht der Fall.
Das sind lediglich vorübergehende Zustände.
Es ist Fallen und Aufstehen.
Ergründest und erfühlst du einen einzigen Menschen, so ergründest und erfühlst du ein Volk, erfühlst du Erdteile.
Was der individuelle Mensch erlebt, erlebt ein Volk.
Fällt er, so fällt ein Volk, fallen Erdteile.
In der kosmischen Psychologie ist dies festgelegt; das sind Gesetze, das ist der Kreislauf der Seele.
Diese Seele folgt ihrem Weg, um die göttlichen Sphären zu erreichen.
Die Erde ist Millionen Jahre alt, so auch der Mensch, und dennoch ist jenes intellektuelle Wesen kaum über das Tier hinausgewachsen.
Noch sieht man auf der Erde vortierhafte Wesen in Menschengestalt umherwandeln.
Sei auf der Hut.
Geh ihnen aus dem Wege, denn sie sind in Hunderten von Jahren nicht zu erreichen.
Mit frischem Mut ging ich ans Werk.
Man bewunderte mein Können und ich gewann viele Freunde.
Meine Persönlichkeit veränderte sich und mein Name bekam einen besonderen Klang.
In mir sah man einen künftigen Meister.
Die Jahre vergingen.
Ich lernte sehr viel und war zufrieden mit mir.
Mein Gefühl für Kunst aus meinen Kinderjahren verstand ich nun vollkommen.
Mir blieb nur nach wie vor das Rätsel, von wem ich diese Gabe empfangen hatte.
Viele fragten mich, ob ich diese Gabe von meinen Vorfahren geerbt habe.
Ich konnte ihnen antworten, verschwieg jedoch meine eigentliche Herkunft.
Viel dachte ich hierüber nach, denn ich verstand nicht, von wem – wie ich bereits sagte – diese Kräfte in mich kamen.
Von Gott?
Von einer höheren Macht?
Es war mir nicht klar.
Ich suchte und fragte weiter danach und das Problem wurde gravierender.
Ich war ein geborener Analytiker, ich wollte wissen, woher ich kam, wozu dies alles diente.
All diese Lebensprobleme wollte ich kennenlernen.
Ich konnte die Herzlosigkeit der Menschheit nicht verarbeiten.
Meine Gefühle reiften mit dem Älterwerden und ich stieg in das Leben hinab, um diese Wahrheit besser zu verstehen.
Ich war stets in Gedanken und man nannte mich bereits einen Träumer.
Damit fühlte ich mich äußerst geschmeichelt und war stolz darauf, dass man mich so sah.
Ich fühlte mich älter als das Alter, das ich erreicht hatte.
Dadurch zog ich die älteren Kunstbrüder zu mir und sie luden mich ein, zu ihnen zu kommen.
Man fing an, über mich zu sprechen.
Ich wollte mein Studium mit einem großen Kunstwerk vollenden.
Als Thema dafür wählte ich eine Mutter mit ihrem Kind und ich gestaltete sie als ganze Figuren aus.
Dahinein legte ich jenes Gefühl, mit dem ich von meiner Mutter gern geliebt worden wäre.
Die Skulptur lebte und wurde ein großer Erfolg.
All meine Liebe, meine reine Seelenfreude legte ich in sie hinein, so, wie ich sie als Kind gefühlt und besessen hatte.
Das Werk wurde preisgekrönt.
Das Lächeln auf dem mütterlichen Antlitz ließ kalte Herzen auftauen.
Das Kind, beide Händchen erhoben, sah zu der Mutter und bettelte um Liebe.
Dieses große und heilige Gefühl lag in beiden Wesen.
Zwei Seelen waren verbunden, ein Fühlen, ein Denken, eine Liebe.
So hatte ich die Mutterliebe als Kind empfunden, doch sie wurde mir nicht gegeben, worauf sie tief in mir versank, um für sie, meine Mutter, nicht mehr hochzukommen.
In und um mein Produkt lag diese große Kraft.
Der Kampf meiner Jugend, der hinter mir lag, hatte mein Gefühl für Kunst reifen und wachsen lassen.
Mit raschen Schritten ging ich meinem Glück entgegen.
Mein Interesse galt allein dem menschlichen Körper und seiner Schönheit.
Tiefs wusste ich zu überwinden und dadurch gewann ich viele Freunde, machte mir aber auch viele Feinde.
Einer gönnte dem anderen das Glück nicht, für Ehre und Ruhm tötete man.
Ein Menschenleben hatte keinen Wert, wegen einer Kleinigkeit wurde man umgebracht.
Mir ging das alles gegen den Strich und ich litt darunter, doch dieses Leiden dauerte nur kurz.
Ich erkannte, dass ich zu ernsthaft lebte, und deshalb stürzte ich mich in den Strudel des brausenden Lebens.
Die Jahre, die folgten, vergingen in einem Rausch von Ruhm und Ehre.
Es wurde Zeit, dass ich auf eigenen Beinen stehen würde, ein unbekanntes Etwas trieb mich dazu.
Ich machte mich los, richtete mich ein und nahm mir einen Diener, der mir von einem meiner besten Freunde empfohlen wurde.
Diesem Mann, der alles für mich tat, vertraute ich allerdings nicht.
Es gab etwas, das mich störte.
Ich suchte danach, fand es aber nicht.
Seinen Charakter konnte ich nicht ergründen.
Nochmals fragte ich meinen allerbesten Freund namens Roni, ob ich ihm in allem vertrauen könne.
„Wie kommst du darauf, mein guter Lantos“, so sprach er, „ich bin schließlich dein Freund?“
Es tat mir bereits leid, dass ich ihm misstraute, aber ich konnte das Gefühl nicht loswerden, ich unterdrückte es jedoch mit Gewalt und wollte nicht mehr daran denken.
Ich hatte mit meinem Diener vereinbart, dass kein Wesen ohne mein Wissen in mein Atelier hineingelassen werden durfte.
Ich wollte niemanden wissen lassen, woran ich arbeitete.
Stets trat ich mit neuen Werken hervor, mit denen ich die Welt überraschte und meine Kunstbrüder niederschmetterte.
Die Großen, die noch über mir standen, würde ich auch erreichen.
Bald würde ich ein Meister sein.
Dahin lenkte ich mich, dahin brachte mich meine Kunst.
Von Hass und Neid blieb ich nicht verschont.
Auf einer meiner Zusammenkünfte ließ man mich dies deutlich spüren.
Mein allerbester Freund gehörte zu ihnen, was mir viel Kummer bereitete.
Er versuchte, dies hinter seinem schönen Antlitz zu verbergen, aber ich spürte es dennoch.
Als ich versuchte, seinen Charakter zu ergründen, war mir dies nicht möglich.
Seine Gestalt war die eines Adonis.
Stunden wandte ich für ihn auf, aber sein wahres Inneres lernte ich trotzdem nicht kennen.
Mal war er wieder sehr nett und mein bester Freund; dann, plötzlich, lernte ich ihn von einer anderen Seite kennen, die mir sehr unangenehm war.
Ich versuchte, mich von ihm zu befreien, doch auch das erwies sich als unmöglich.
Es war, als hielte eine unsichtbare Macht uns verbunden.
Ich meinte, ihm schon früher begegnet zu sein, aber ich konnte mich nicht daran erinnern.
Trotzdem ließ mich seine Gestalt nicht in Ruhe.
Ich dachte immer und immer wieder an ihn, doch er war und blieb undurchdringlich für mich.
Meine Gefühle stimmten mit denen überein, die ich als Kind empfunden hatte und die mich angespornt hatten, mich von meiner Familie zu lösen.
Diese Kraft hatte gesiegt, ich war fortgegangen und geworden, was ich werden wollte.
Waren es unsichtbare Mächte?
Stand ich unter Einfluss und handelte ich danach, ohne es selbst zu wollen oder es zu wissen?
Ich fühlte nun jene Kräfte aus meiner Jugend deutlicher und bewusster; es war, als ob ich erwachte.
Ich sonderte mich ab, um über dieses Problem nachzudenken, und machte ausgedehnte Spaziergänge, wie ich es früher getan hatte.
In der Natur wurde mir vieles klar.
Ich erkannte nämlich, dass beide Kräfte eins waren: ein einziger Willen, ein einziges Gefühl lenkte dies alles.
War es Gott?
Eine Allmächtige Kraft, die Himmel und Erde geschaffen hatte, Mensch und Tier?
Die alles lenkte und leitete?
War dies Geleitet-Werden oder war ich dabei, mir selbst etwas zu suggerieren?
Was war es?
Für meinen Freund empfand ich wahre Freundschaft, und dennoch, ich musste es ehrlich gestehen, hasste ich ihn.
Warum eigentlich, warum ihn hassen?
Hatte er mir etwas angetan?
Er war neidisch, gönnte mir nicht den Rang, nicht die Höhe, die ich erreicht hatte.
Das war menschlich, ganz normal und ich sollte mich nicht daran stören.
Dennoch ließ es mir keine Ruhe, aber ich kam nicht dahinter, wie sehr ich auch nachdachte und all seine Charaktereigenschaften analysierte.
Meine Gefühle unterschieden sich von seinen, und trotzdem waren wir Freunde, sogar gute Freunde.
Seine Handlungen waren spontan, aber nicht empfindsam, sehr zum Nachteil für seine Kunst.
Seine Spontanität und sein Ehrgeiz erstickten die tieferen Schwingungen seiner Seele, die Kraft, seine Werke durchfühlen zu können.
Er war in allem zu schnell, zu unbesonnen.
Er fühlte die Stille des Lebens nicht.
In nichts war er sich seiner selbst bewusst, er handelte aus dem Moment heraus und gab sich völllig hin, ohne nachzudenken.
Auf seinem Lebensozean stürmte es Tag und Nacht, er wurde nach links und rechts geworfen und sättigte sich, indem er das Leben so erlebte, wie es zu ihm kam.
Eine Zeit lang ließ ich mich von ihm leiten und wir streiften gemeinsam durch das brausende Leben.
Doch allmählich suchte ich nach einem sicheren Hafen.
Mir war dieses Leben zu ermüdend, ich sehnte mich nach Ruhe, nach der Stille, um zu mir selbst zu kommen.
Ich dachte nach und überdachte alles, womit ich in Verbindung kam.
Ein Träumer und Denker war ich, wie sie mich nannten.
Aber er würde meine Höhe nicht erreichen, oder er musste sehen, dass er sich diese Eigenschaften aneignete, dann erst würde seine Kunst anfangen, zu leben.
Ich hatte und fühlte nur ein einziges Ziel, er hatte viele.
In der Malerei, wie man sie zu jener Zeit praktizierte, hatte er eine große Höhe erreicht, aber in der bildenden Kunst würde er es mir nicht gleichtun.
Ich besaß nun Ruhm und Ehre, aller irdische Besitz lag zu meinen Füßen.
Dennoch überfiel mich manchmal eine traurige Stimmung und ich fühlte mich nicht zufrieden.
Doch wenn ich in dieser Stimmung war, sah ich, dass meine Kunst wuchs und zu Leben kam.
Dann sah ich Menschen und Tiere anders und konnte sie leichter erreichen.
Ich liebte, lernte jedoch die wahre Liebe nicht kennen.
Die Liebe, die man mir entgegenbrachte, gab mir nichts.
Sie war zu einfach zu bekommen, diese Liebe war zu durchschaubar.
Wenn man sein Herz öffnete, wurde es gänzlich in Beschlag genommen.
Durch die fiebernde Sehnsucht der Seele ließ man sich immer wieder verführen.
Doch ich lernte, wie ich mich wappnen musste, wenn ich kein Spielball dieser Gefühle sein wollte, und dies brachte mich zum Nachdenken.
Ich lernte ihr Wesen kennen und verstehen.
Trotzdem suchte ich nach der wahren Liebe, fand sie aber nicht.
Gab es diese Liebe auf der Erde überhaupt?
Lag solch eine Liebe nicht in anderen Wesen?
War in ihnen nicht diese Kraft, die das Leben auf der Erde glücklich macht?
Wussten sie nicht, was Liebe bedeutete, und trugen sie nicht die Erkenntnis, dass man das Gefühl eines anderen respektieren sollte?
Verstanden sie nichts von dem wahren und wirklichen Glück, wie es die Allmacht beabsichtigte?
Doch ich als Künstler liebte solch ein Wesen.
Ihre Augen, die lachten, bettelten und liebkosten, waren mir lieb.
Ihr ganzer Körper war für mich ein Tempel der Schönheit, der Herrlichkeit und des Glücks.
Ich könnte mein Leben für dieses Wesen geben, aber dann würde sie mich wirklich und wahrhaftig lieben müssen.
In meiner frühen Jugend hatte ich diese Gefühle bereits besessen, doch jetzt waren sie bewusst und entwickelt.
Dieses riesige und mächtige Glück wünschte ich zu besitzen.
Wie verlangte meine Seele nach Verständnis, wie sehnte ich mich nach diesem einen Wesen, jenem Lieblichen und Schönen, das mich bis zum Höchsten emporführen und meine Kunst vergeistigen würde.
Diejenigen, denen ich bis jetzt begegnet war, besaßen nichts von diesen erhabenen Gefühlskräften.
Sie besaßen nicht mehr als tierhafte Sehnsüchte, grobmenschlichen Egoismus und Leidenschaft, was mich anwiderte.
Der rhythmische Klang, der die tiefsten Seelenkräfte zum Bewusstsein bringen sollte, war nun einmal nicht in ihnen.
Sie lebten sich aus, zogen vom einen zum anderen.
Hatte Gott, der Schöpfer all jenes Großartigen, sich geirrt?
Kannte Er Seine eigene Schöpfung?
Warum schuf Er Arten und so viele unbegreifliche Gefühle?
Warum gab Er jenem Wesen jene ungeheure Kraft?
Warum hat er das Weibliche nicht mit dem Männlichen verbunden, keine identische Abstimmung gegeben, sodass sie einander verstanden und ein und dieselbe Liebe fühlten und nach Seinem Willen lebten?
Dies war doch Gottes Absicht gewesen?
Auch davon erzählte die Schrift und auch die Geistlichen.
Nein, ich kam nicht dahinter, konnte dieses mysteriöse Problem nicht umfassen.
Doch es beschäftigte mich, und ich fragte, warum und wozu?
Wo würde ich dieses beneidenswerte Wesen finden, beschenkt mit strahlender Schönheit und mit jener Kraft, die glücklich macht, sodass das Leben ein Paradies würde?
Wo war sie?
Meine Seele bat um dieses Wesen; ich lechzte danach, es bewundern zu können.
Für ein Lächeln, einen Handkuss, würde ich mein Leben geben.
Ich fühlte es, diese Kräfte waren in mir zu Bewusstsein gekommen.
In dieser trübsinnigen und begehrenden Stimmung sehnte ich mich nach einem Wesen, das so fühlte wie ich, nach einem Ohr, das zuhören konnte, und nach einem Gesicht, das all diese Gefühle ausdrückte.
Ich suchte und suchte, ergründete Hunderte dieser Wesen, fand aber nicht, was ich besitzen wollte.
Sie waren nicht auf der Erde, Gott musste sich geirrt haben.
Der Mensch war nicht vollkommen; ich sah und fühlte keine Liebe, wie Er sie besaß und wir sie in uns haben sollten.
In meiner Kindheit hatte ich Ihn lieb gehabt, hatte ich meinen eigenen Gott, war Er ganz nahe bei mir gewesen, jetzt war Er so weit weg und unerreichbar.
Ich würde Ihm Fragen stellen wollen, Tausende Fragen, auf die Er, der Allmächtige, mir würde antworten können.
In meiner Kindheit zerfiel mein Gott; nun zerpflückte ich alles, bis von Seiner Schöpfung nichts mehr übrig blieb.
Auch diese Gefühle kamen aus derselben ewigen Quelle.
Damals war ich jedoch unbewusst und verlangte danach, Gott zu besitzen; jetzt, wo ich dieses Alter erreicht hatte und das Leben kennenlernte und den Menschen fühlte, wollte ich jene Macht entschleiern.
Mein Körper war gewachsen, mein Geist entwickelt, und doch hatte ich mich in nichts verändert.
Was ich als Kind gefühlt hatte, besaß ich auch jetzt und umgekehrt.
Ich war nur bewusster, aber in tiefster Seele war ich eingeschlafen, weil ich dies alles nicht verstand.
In einem Punkt jedoch war ich wach und sehr bewusst; das war in der Liebe.
Diese Liebe wollte ich besitzen und mich an ihr wärmen, erst dann wäre ich imstande, das Höchste zu erreichen.
In ihr sah ich die höchste Inspiration, jenes Wesen würde mich zu unbegrenzten Möglichkeiten emportreiben.
Ein merkwürdiger Gedanke, etwas Liebes, das ich einst besessen hatte, kam aus der Vergangenheit in mir auf.
Meine Marianne!
In all diesen Jahren hatte ich keine Sekunde an sie gedacht.
Lebte sie noch?
Ob sie all diese Eigenschaften besaß?
Dieser Gedanke war in mir verborgen, wie in einem verschlossenen Raum.
Marianne gehörte zur Vergangenheit, war das Einzige davon, das ich lieb hatte.
Ich hätte auch sie aus meinen Gedanken ausradiert, wenn unsere Jugend nicht so schön gewesen wäre.
Sie hatte ich lieb, ihr war ich zugetan, sie war mein Leben und meine Sonne gewesen, würde dies bis zu meinem Tod immer bleiben.
Ach, wenn ich sie in diesem Leben sehen dürfte, mein Herz und meine tiefsten Seelengefühle sollte sie besitzen.
Sie verstand mich, erfühlte mich; wir waren keine Fremden füreinander, wir würden Bruder und Schwester in der wahren Bedeutung des Wortes sein.
Dies war mir klar, ich fühlte es, mein Gefühl für sie hatte sich überhaupt nicht verändert.
Merkwürdig, dass ich nicht eher an sie gedacht hatte.
Aber mein Leben war ausgefüllt gewesen, meine Arbeit hatte mich zu sehr in Beschlag genommen.
Marianne, wo bist du?
Wenn ich meinen Höhepunkt erreicht hätte, würde ich sie suchen.
Ich wollte sie noch einmal sehen, bevor ich sterben würde.
Sie hatte mich getröstet und verwöhnt, ohne es zu wissen.
Ich nahm mir fest vor, sie zu finden, falls sie noch lebte.
Ich eilte nach Hause zurück.
Dieser Spaziergang hatte mir meine Jugenderinnerungen wiedergegeben, im vollen Leben wären sie nicht in mir hochgekommen.
Bald war ich zu Hause und holte ihre Figur hervor.
Ich befreite sie von ihren Wickeln und war gespannt, ob sie noch leben würde.
Ganz vorsichtig vollbrachte ich diese Arbeit, und ja, sie war nicht beschädigt, im Gegenteil, fester und strahlender war sie geworden.
Ich glaubte, in ihr nun eine Edelfrau zu sehen.
„Marianne, du lebst?
Sag mir, wo bist du?
Komm zu mir, lass uns Freunde oder Geliebte sein.
Bist du noch frei?
So komm, liebes kleines Mädchen, sing für mich; deine Stimme wird mich inspirieren, und gib mir die zarte, aber lautere Liebe, die das Höchste ist.“
Das seidene Tuch, in dem die Figur in all der Zeit gelegen hatte, war ganz verfärbt, aber die Erde, durch „was“ behielt diese ihre Kraft?
Ich gebrauchte meine Fingernägel, doch das Material war so hart wie Marmor.
Es war merkwürdig.
Ich setzte mich nieder und sprach eine ganze Weile mit ihr.
„Bist du mein liebes Kind?
Komm zu mir, Marianne, kein Haar auf deinem Kopf wird dir gekrümmt.
Mein Jugendglück, bist du in diesem Leben zufrieden?
Lach mal, sei mal fröhlich, lass mich deine Stimme hören und komm.“
Kam Bewegung in die Figur?
Mir war so, aber ich verwarf diese Gefühle sofort, ich wollte nicht sentimental werden.
Ich stellte sie auf einen Sockel und betrachtete sie geraume Zeit.
In mir reifte ein Plan.
Ich bekam Angst, dass sie doch noch einmal zerfallen könnte, und dann hätte ich alles aus jener Zeit verloren.
Ich würde anhand der Figur eine lebensgroße Marianne machen, wie ich sie nun erfühlte, sah und lieb hatte.
Aber wie deutlich hatte ich sie in meiner Kindheit dargestellt!
Wie genau alles berechnet.
Von wem hatte ich diese Gabe?
Woher hatte ich dieses Kunstgefühl bekommen?
Ich war damit geboren worden!
Aber in diesem Leben musste man sich alles aneignen, fortwährend lernen, um es einst zu verstehen und zu besitzen.
Blieb dieses Rätsel unlösbar?
Die Figur besaß eine Empfindsamkeit, weshalb ich mich nun würde anstrengen müssen, wollte ich es ihr darin gleichtun.
Woher kam jenes ausgeprägte Erfühlen in der Kunst?
Ich würde versuchen, dies zu entschleiern, aber zuerst musste ich dieses Kunststück schaffen, mit dem ich Ruhm und noch mehr Ehre erlangen würde.
Stundenlang war ich in tiefes Nachdenken versunken.
Ich ließ mich gehen, dachte mich in ihre Persönlichkeit hinein und erfühlte sie, wie noch nie zuvor.
Wie schön und lieb wäre sie nun, wenn mein Erfühlen sich als richtig erweisen würde.
Ich entdeckte aber auch leichtsinnige Züge in ihr, was mir leidtat.
Doch ihr Gesicht strahlte eine Offenherzigkeit aus, wie ich sie noch nicht gesehen hatte.
Auch Liebe, und die sprach wohl am stärksten.
Ach, wenn ich sie die Meine nennen dürfte, wie würde ich sie mit meiner Liebe umgeben.
Allerlei Gedanken kamen in mir auf und erloschen wieder.
Vor mir stand ein großes Stück Marmor, ich würde sofort mit der Arbeit beginnen können, alles lag bereit.
Ich fühlte, dass ich in die richtige Stimmung kam, um etwas Schönes zustandezubringen.
Mein Herz klopfte stärker als gewöhnlich, doch in meiner Seele lag eine fromme Ruhe, worüber ich mich wunderte, da ich in Wirklichkeit nicht so fromm war.
Ich betete nie, ich könnte es nicht.
Ich hatte zwar ein paar Gebete gelernt, aber ich hatte sie vergessen.
Ich verspürte keinen Drang, zu beten, denn ich lehnte mich andauernd gegen Gott auf.
Ich packte alles zusammen, was ich brauchte, und begann, zu arbeiten.
In großer Schnelligkeit, stets Mariannes ganzes Wesen in mir wissend, bearbeitete ich den schneeweißen Marmor.
Mit jedem Schlag wuchsen meine Freundschaft und Liebe zu ihr.
Wie lange ich gearbeitet hatte, wusste ich nicht, doch ein fürchterlicher Schlag ließ mich aufschrecken.
Ich hatte in einer Art Traumzustand gearbeitet, denn ich ging gänzlich in diesem Werk auf.
Was war geschehen?
Eine alte Skulptur war von ihrem Sockel gefallen.
Die Bruchstücke lagen um mich herum verstreut.
War dies ein Vorzeichen oder war es Zufall?
Ich fegte die Stücke zusammen, damit ich wieder weiterarbeiten konnte.
Wie schade, diese Unterbrechung, ich war so gänzlich in meine Arbeit vertieft gewesen.
Es war beängstigend; ein Schüttelfrost durchfuhr mich.
Meine Inspiration war unterbrochen worden und ich musste eine Weile warten, ehe ich in diesen beneidenswerten Zustand zurückkehren konnte.
Ich fühlte mich intensiv glücklich, denn ich war mit der schönsten Zeit meines Lebens verbunden.
Nach einigen Stunden anstrengender Arbeit fühlte ich mich müde und versuchte, ein wenig zu schlafen.
Am Morgen wurde ich wach und ich machte mich wieder an die Arbeit, was ich bis zum Nachmittag durchhielt.
Wozu diese Eile?
In mir lag eine treibende Kraft, diese Skulptur so bald wie möglich zu vollenden.
Ich wurde zu großer Eile angespornt, wie ich es früher noch nicht erlebt hatte, und ich fühlte mich in einer merkwürdigen Stimmung.
Es war eine enorme Kraft, die mich inspirierte, stärker als ich sie je gefühlt hatte.
Nachdem ich ein wenig Nahrung zu mir genommen hatte, unternahm ich einen ausgedehnten Spaziergang.
Die Natur würde mir neue Kraft geben und meinen Geist stärken.
Nach meinem Spaziergang traf ich Roni.
„Mein guter Lantos“, so sprach er, „wo bist du so lange gewesen?
Ich habe dich eine ganze Weile nicht getroffen.
Arbeitest du an einem neuen Werk?“
Sein Gesicht strahlte und er war sehr vergnügt und offenherzig; zumindest glaubte ich, das zu fühlen.
„Ich habe schons seit einigen Monaten etwas Liebes“, fing er an, zu erzählen; das war schließlich das Einzige, was ihn interessierte.
Ich gab ihm keine Antwort und ließ ihn ausreden.
„Sehr lieb, Lantos, und sie singt so schön, wie eine Nachtigall.“
Seine Augen funkelten und strahlten Licht aus.
Wo war ich so einem Menschen früher schon mal begegnet, ich kannte ihn.
Er fuhr fort: „Sie liebt mich, aber was soll's!“
Ich verstand, was er hiermit meinte.
Er würde sie bald wie einen Lumpen von sich werfen, und dann würde ihre Ehre, falls sie diese noch besaß, besudelt sein.
Seine alte Art, zu lieben.
Du bist ein Schuft, dachte ich und spürte Hass in mir aufkommen, den ich jedoch unterdrückte.
Ich antwortete: „Warum erzählst du mir immer deine Herzensgeheimnisse?“
„Du bist doch mein Freund, mein allerbester Freund, Lantos.“
Dem war so, aber mir schauderte vor seinem Leben.
Auch ich hatte ein solches Leben geführt, doch ich war bereits größtenteils davon geheilt.
„Bist du beschäftigt?“, fragte er interessiert.
„Ja“, antwortete ich, „und ich bin für einige Monate nicht zu sprechen.“
„Darf ich das neue Werk bewundern?“
„Nein“, sagte ich streng, ohne es zu wollen, „noch nicht.“
„Ach“, sagte er, „wie kurzangebunden du bist!“
Ich spürte seinen Neid, sein schönes Gesicht verzog sich und um seine Lippen kam ein brutaler Zug.
Ich glaubte, kurz hinter seine Maske zu blicken, doch er fasste sich und war die Freundlichkeit selbst.
Danach nahm ich Abschied von ihm.
Ich dachte lange über unsere Begegnung nach, konnte Roni aber nicht ergründen.
Wo kam er eigentlich her?
Die eine oder andere sich nach Liebe sehnende Seele verfing sich in seinem Spinnennetz, und dann war sie verloren.
Wer sich da heranwagte, würde auch alles erdulden müssen, sie erwartete Kummer und Schmerz.
In ihm verbarg sich eine dämonische Kraft; er stand über all diesen Wesen, die seine Füße küssten.
Der Adonis spielte mit den Seelen der Frauen und zerriss Herzen.
Ein teuflisches Spiel!
Er zerschmetterte sie, er saugte sie leer, da sie es selbst zu wollen schienen.
Es war nichts als Leidenschaft.
Unter ihnen befanden sich Unschuldige und mit diesen hatte ich Mitleid.
Ich hatte bereits mit ihm darüber gesprochen, dass er die Unschuldigen verschonen solle, doch er wollte keine Vernunft annehmen.
Er tat, was er wollte.
Er war ein Verführer der übelsten Sorte und darauf war er stolz.
In den letzten Monaten fühlte ich, wie eine heftige Abneigung gegen ihn wuchs, und ich musste daher darauf hinwirken, mich von seinem Einfluss zu befreien.
Das war aber offensichtlich nicht möglich und ich begann, an unsichtbare Mächte zu denken, verwarf diesen Gedanken jedoch, weil ich zu sachlich war.
Ich fand es lächerlich, so etwas anzunehmen.
Seine Welt war die meine gewesen, aber sein Leben hätte ich trotzdem nicht führen können.
Ich hatte eine andere Mentalität, denn für ein derartiges Verhalten war ich zu feinfühlig.
Er war sozusagen mein Gegenstück; dennoch liebten wir beide das Leben.
Ich suchte nach der Einen, er suchte nicht, sondern nahm jede, wer es auch war, arm oder reich.
In ihm lebte nur ein einziges Verlangen, den Menschen zu besitzen, gänzlich zu besitzen, aber nur stofflich.
Meine Gedanken riefen mich zu meiner Arbeit zurück und ich eilte nach Hause.
Ich kam sofort in die gewünschte Stimmung und begann, zu arbeiten.
Ich fühlte mich wie betäubt; es war eine herrliche Empfindung.
Erst dann ist ein Künstler glücklich und fühlt mit dem, was er erschaffen hat.
Wie innig lernte ich Marianne nun kennen!
Sie lebte in mir und ich in ihr; wir waren eins.
Für sie würde ich sterben wollen; ich fühlte es nun deutlich.
Hätte ich sie nur bei mir, dann könnte ich sie glücklich machen.
Ich dachte mich tief in ihr Wesen hinein und gestaltete im Marmor all ihre Eigenschaften, hielt sie darin fest.
Die Skulptur gedieh.
Sehr schnell ging die Arbeit voran und ich bewunderte mich selbst.
Mein Können erschien mir nun grenzenlos, nun würde ich das Höchste erreichen.
Einige Wochen vergingen in Windeseile und ich war wunderbar vorangekommen.
Um ihren lieben Mund herum lag ein süßes Lächeln, ihr ganzes Wesen strahlte Liebe aus.
So musste sie in diesem Augenblick sein, wenn sie noch am Leben war.
Ich gestaltete sie so, wie ich sie erfühlte.
Ihre goldblonden Locken flossen in seidiger Pracht über ihre Schultern, und sie begann, zu leben.
Wochen waren für mich Tage, nein, Stunden, und ich fühlte mich wie der glücklichste Mensch der Welt.
War es meine Liebe zu ihr, die mich zu dieser Höhe führte?
Es konnte nicht anders sein, denn das Produkt dieses Schaffens war von höchstem Rang.
Ich setzte mich in einiger Entfernung und betrachtete sie.
Still war es in der Skultpur und um sie herum, was mir Ruhe gab.
Sie stand da wie eine kleine Königin.
Ihr Äußeres stimmte mit ihrem Inneren überein, beide waren gut getroffen und ich fühlte mich zufrieden.
„Wo bist du, Marianne?
Sag mir doch, wo du in diesem Augenblick lebst.“
Wieder fühlte ich ihr Lächeln.
Nun begann ich mit dem Polieren.
Ein Sonnenstrahl lag über der ganzen Skulptur.
Ihr Wesen strahlte wie eine Sonne, sie besaß, was ich in ihr gesucht hatte, es konnte nicht anders sein.
Bald war ich fertig.
Ich küsste sie auf beide Wangen, dankte ihr innerlich für diese schöne Inspiration und brach in Tränen aus.
Wie sehr ich mich auch dagegen wehrte, die Tränen kullerten über meine Wangen.
Ich hielt mich für einen Tölpel, doch es war etwas in mich gekommen, das nicht zu leugnen war.
Ich war traurig, sehr traurig gestimmt, aber warum eigentlich?
In dieser ganzen Zeit war ich der glücklichste Mensch auf Erden gewesen.
Nichts behinderte mich, alles ging von selbst, ich lebte, fühlte ihre Liebe, ihre Persönlichkeit, und das schenkte mir großes Glück.
Warum musste ich dann jetzt weinen?
Warum?,
fragte ich mich immer wieder, doch ich kam nicht dahinter.
Ich wurde wütend, denn ich war undankbar, was ich auf keinen Fall sein wollte.
Meine Liebe war echt, das getraute ich mir einzugestehen.
Lange dachte ich nach, dann wusste ich es auf einmal.
Es war meine Sehnsucht nach dieser Liebe.
Soeben war sie bis tief in meine Seele geströmt, und das ließ mich weinen.
Ach, wie schön konnte dieses Leben auf der Erde sein, doch es wurde zur Folter, wenn man wirklich reine Liebe empfand.
„Ach“, rief ich immer wieder, „wo bist du, Marianne, wo lebst du?“
Wenn ich mich zu beten traute, würde ich Gott anflehen, mir den Ort zu zeigen, an dem sie lebte, doch ich glaubte nicht an Wunder.
Die Skulptur war fertig; viele würden mich beneiden.
Meinen Freund Roni kränkte ich damit bestimmt bis aufs Blut.
Was er in der Liebe erreichte, erreichte ich in der Kunst.
Dies war mir lieber als sein verfluchtes Leben.
Verflucht?
War nicht auch ich in meiner Jugend verflucht?
Lag auf meinem Leben kein Fluch?
Meine Eltern hatten mich verflucht und ich sie.
Ihre Worte hörte ich noch deutlich, noch peitschten sie meine Seele.
Ich sollte nicht mehr daran denken; das war vorbei.
Nun stand ich vor meiner Marianne, meiner reinsten Inspiration.
Ich würde dieses Kunstobjekt allen zeigen, doch zunächst wollte ich ein wenig ausruhen, denn die Arbeit hatte mich furchtbar mitgenommen.
Sie hatte alle meine Lebenskräfte aufgesaugt, aber ich hatte sier gerne dafür geopfert.
Für sie wollte ich alles tun.
Ich fühlte mich wirklich müde, aber ein wenig Unterhaltung würde mir gut tun und ich begab mich an den Ort, wo die Künstler zusammenkamen.
Unterwegs blieb ich plötzlich stehen und rang nach Atem.
Vor mir stand Roni, dem mein Verhalten auffiel.
Verflucht, dachte ich, immer muss ich ihm begegnen.
Ob das etwas bedeutete?
„Bist du vor mir erschrocken, Lantos?“, begann er das Gespräch.
„Du siehst so blass aus.
Zu hart gearbeitet?
Wo bist du in der letzten Zeit gewesen, hast du immer nur gearbeitet?“
Ich sah ihn an; sein Gesicht war wie eine grinsende Maske.
Einige Sekunden lang ergründeten wir einander, er fühlte mich und ich ihn, in diesem Augenblick wussten wir beide, dass wir Feinde waren, und um ihn zu treffen, sagte ich: „Mein neues Werk ist fertig.“
Nun war ich an der Reihe, zu fragen: „Ist dir nicht gut?
Du wirst plötzlich so blass, stimmt etwas nicht?
Ist dein Glück in der Liebe vorüber?“
Ich sah ihn weiterhin an und fühlte ihm deutlich nach.
Er gönnte mir meine Kunst nicht.
Wie hasste ich ihn.
Schuft, dachte ich.
Er blieb jedoch allerfreundlichst und war höflich in allem.
„Wohin führt dich dein Weg, Lantos?“
„Ich suche etwas Unterhaltung“, sagte ich ehrlich, „ich bin ein wenig müde.“
Ich fühlte, dass ich wieder zu mir kam, und durch seine Höflichkeit ließ mein Hass nach.
Ein merkwürdiger Mensch war er.
Gemeinsam gingen wir weiter.
„Wie findest du selbst dein Werk?“, fragte er interessiert.
Ich sagte: „Ich habe noch nie so etwas Schönes erreicht.“
„So, so, du machst mich neugierig.
Darf ich es bewundern?“
„Nein, noch nicht“, antwortete ich kühl.
Ich sah ihn dabei an, doch sein verschlossenes Gesicht verbarg seine inneren Gefühle.
„Welche Bedeutung hat dieses Werk?“, fragte er aufs Neue.
Ich erschrak, wusste mich aber zu beherrschen, er sollte meine heiligsten Gefühle nicht teilen.
Ich wich seiner Frage aus, indem ich sagte: „Bald, später.“
„Ich bin weitergekommen, Lantos.“
„Weitergekommen, sagst du?“
„Ja, mit meiner neuen Liebe.“
„Sieh mal einer an“, sagte ich, doch ich dachte an meine eigenen Dinge.
Weitergekommen?
Wie weitergekommen?
Womit?
In der Liebe weitergekommen?
Ging es ihm denn nicht darum, zu zerstören?
„Das Spiel ist gespielt“, sagte er, „ich bin der Gewinner.“
„Gewinner, sagst du?“
„Die, von der ich dir erzählt habe, weißt du noch, liegt mir zu Füßen.
Entzückend, Lantos, eine Schönheit, aber ein dummes Wesen.
Sehr dumm, mit scheint, sie war eine Bauersfrau.“
„Lächerlich!“
„Aber sie singt herrlich und ist eine schöne Erscheinung, doch ich sehe ihre Vergangenheit.“
„Vergangenheit?“, fragte ich.
„Nun ja, ich habe sie ein bisschen ergründet.
Sie wird von ihrem Glück träumen.
Sie erwartet mich, kommst du mit, du suchst doch Unterhaltung?“
„Nein“, sagte ich, „geh, nur zu.“
Wir nahmen Abschied, doch ich war sehr zerstreut.
Warum war ich so erschrocken, mein Herz hatte mir bis zum Hals geschlagen, als ich ihn sah.
Warum?
Abermals war mir klar, dass ich ihm früher in meinem Leben begegnet war.
Woher kannte ich diesen Schuft?
Oder bildete ich mir nur etwas ein; er war doch höflich?
Ich war womöglich ein wenig überarbeitet.
Was gingen mich seine Liebesaffären an.
Aber war ich anders?
Wenn ich auf diese Weise weitermachte, behielte ich keinen Freund übrig.
Ich war launisch, unzufrieden und unleidlich und sollte ihm gegenüber anders sein.
Was bildete ich mir eigentlich ein?
Es tat mir bereits leid, dass ich ihn so unwirsch behandelt hatte.
Man nannte mich schon einen Sonderling und das wollte ich nicht sein.
Ich war so wie jedermann.
Oder war ich doch anders?
Ich versuchte, mich selbst besser kennenzulernen; dies war dringend notwendig.
Doch nach einiger Zeit verlor ich mich in mir selbst und musste herzlich darüber lachen.
Ich hatte nun das Alter von achtunddreißig Jahren erreicht, hatte mich zu großer Höhe emporgearbeitet und konnte zufrieden sein.
Bald würde ich neue Triumphe feiern mit meiner jüngsten Schöpfung, meiner Marianne.
Meiner Marianne?
Eigenartig, dass ich erst jetzt daran dachte.
Ich sprach stets von meinem Kind, meiner Marianne.
Ob sie mich so liebte, wie ich sie liebte?
Das musste ich ja wohl abwarten.
Auf jeden Fall waren wir Freunde und bereits das stimmte mich glücklich.
Nun würde ich erst ein wenig ausruhen, denn obwohl ich zu meinen Freunden wollte, war ich doch – ohne es zu bemerken – nach Hause zurückgekehrt.
Das war seltsam, aber das kam sicher daher, dass ich so zerstreut war.
Dieses Werk hatte mich vollkommen ermattet und erschöpft.
Es hatte so sein müssen, die Skulptur war ein Kunstwerk.
Die Arbeit war emotional gewesen, und noch immer drangen, wenn ich nur kurz nach ihr sah, diese Kräfte zu mir durch.
Nochmals schärfte ich meinem Diener ein, niemanden, egal wen, in mein Heiligtum hineinzulassen.
Über Marianne hatte ich ein Tuch gehängt.
Ich merkte mir, wie alle Falten dieses Tuchs sich gelegt hatten.
Das Ganze nahm ich in mich auf, denn ich vertraute meinem Diener noch stets nicht völlig.
Ich hielt mich für einen scheußlichen Herrn, aber ich konnte nun einmal nichts daran ändern.
Ich fühlte mich gejagt und unruhig und konnte meine Gedanken nicht auf einen Punkt konzentrieren.
Ich brauchte ganz sicher ein wenig Ruhe.
Dennoch machte ich noch einen Spaziergang, aber meine Gedanken kehrten zu Roni zurück.
Seine Schwärmerei störte mich, für mich war er ein Angeber.
Früher oder später würde auch mein Glück kommen.
Ich würde darauf warten, denn es suchen zu wollen, wäre Wahnsinn.
Wie lange hatte ich nicht schon danach gesucht, aber es gab keine, die die echte, reine Liebe trugen, die wahrhaftig lieben konnten.
Warf sich Roni in dieses Leben, um Inspiration zu bekommen?
Viele betranken sich erst, bevor sie etwas zustande bringen konnten.
Trotzdem lebten ihre Figuren und man fand sie wunderschön.
Eine schöne Welt war das!
Von den vielen Inspirationen, die ich bekommen hatte, war die letzte die schönste.
Was war eigentlich Inspiration?
War es eine bewusste Verbindung mit etwas Höherem?
Ich merkte, dass ich nicht denken konnte.
Wie sehr hatte es mich mitgenommen.
Ich fühlte mich fiebrig, mein Kopf glühte.
Die Stille der Natur würde mir gut tun.
War ich krank, oder wurde ich es gerade?
In einer schönen Umgebung, umringt von Blumen und Zypressen, setzte ich mich nieder.
Es war hier paradiesisch, nur der Mensch störte.
Ich fühlte, dass auch ich störte.
Vögel sangen ihr Lied, ihr Gezwitscher tat mir gut.
Überall sah ich junges Leben.
Dies alles war Gottes Schöpfung; auch wir Menschen.
Warum lebten wir eigentlich auf dieser Erde?
Warum waren wir hier?
Wie gerne würde ich das wissen und den Menschen kennen.
Wie tief war der Mensch?
Wer kannte ihn?
Woher kam er?
Gab es ein Fortbestehen?
Ein Leben nach diesem Leben?
Oder nahm das Leben mit dem Tod ein Ende.
Was hatte es dann für einen Nutzen, hier zu sein?
Einer zerriss den andern.
Ich sah nur Leid.
Gab es ein ewiges Weitergehen?
Wenn dem so war, hatte ich vieles wiedergutzumachen.
Es stand in der Bibel, die Geistlichen sprachen darüber, aber niemand wusste es sicher.
Trotzdem beschäftigte es mich immerzu.
Ich lief ständig mit diesen Gedanken umher.
Warum?,
fragte ich immer.
War ich zu bewusst?
Erlebte ich das Leben zu innig?
War ich nicht zufrieden?
Ich suchte nach etwas.
War es häusliches Glück?
Nach Frau und Kindern und einem glücklichen Leben?
War mir dies nicht beschieden?
Gott war doch ein Vater der Liebe?
Warum gab er Seinen Kindern dann kein Glück?
Es war schon merkwürdig, selbst jetzt fühlte ich mich nicht zufrieden, obwohl ich Ruhm und alles besaß, wonach ich mich in meiner Jugend gesehnt hatte.
Da war etwas, das mir das erwünschte Glück nahm.
Es war, als blickte ich in eine tiefe Grube und würde niemals hinter das Geheimnis kommen.
War es dieselbe Kraft, die mich schon als Kind widerspenstig gemacht hatte?
Ich war schließlich nicht zu bändigen gewesen, „etwas“ trieb mich von zu Hause fort.
Nun suchte und fühlte ich es deutlich, es waren dieselben Gefühle.
War denn diese Kraft mein Schicksal?
War ich vom Teufel besessen?
Oder waren es Naturkräfte, Gesetze, denen ich nicht entkommen konnte?
Als ich dies akzeptierte, fühlte ich mich, als ob ich nicht gelebt hätte, als ob es eine Kraft gäbe, die mich lenkte und gemäß der ich handeln müsste.
Konnte das sein?
Waren da Kräfte, die mich widerspenstig machten?
Inwieweit war der Mensch er selbst?
Hatte er einen eigenen Willen?
Oder hatten wir nichts zu wollen?
Lebten wir unbewusst, in nichts bewusst?
Wie weit erstreckte sich das menschliche Bewusstsein?
Waren wir hier, um bewusst zu werden?
Erlebten alle Menschen diese Dinge?
Ich hörte Roni und viele andere nie Fragen stellen, sie lebten nur und waren glücklich.
Würde ich dasnoch einmal erleben?
Oder kam es dadurch, dass ich träumte und anders war als sie?
Lebten auf der Erde Menschen, die bewusst waren?
Wenn dem nicht so war, wie weit sind wir dann davon entfernt?
Wo ist der Anfang und wo das Ende?
So hätte ich fortfahren und tausend Fragen stellen können, aber keine einzige wurde beantwortet.
Ein dichter Schleier verhüllte alles und auch mein eigenes Leben.
Ich stand vor einem Mysterium.
Ich war ein Problem für mich, weil ich mich nicht durchschaute.
Ob ich mich selbst einmal kennenlernte?
In nichts war ich bis jetzt bewusst, in allem und jedem unbewusst.
Immer war da dieses Geheimnisvolle, diese unbekannte Kraft, die mein Leben lenkte.
Ich würde verrückt werden, wenn ich noch länger (so) weitermachte.
Hör auf, Lantos, hör auf, du fragst zu viel.
Lebe dein Leben wie Roni und andere und du wirst glücklich sein!
Ich sah empor.
Dort oben, hinter jenem starren, dunkelvioletten Kleid des Firmaments lag das Geheimnis.
Dort lebte Gott und dort war Sein Himmel.
Dorthin würden wir einst kommen, einst, um gerichtet zu werden.
Ich würde sehr viel Strafe empfangen, würde brennen und verdammt werden, denn ich hatte nicht wie ein Heiliger gelebt; im Gegenteil, fröhlich drauflos gelebt.
Das war offenbar nicht der Sinn.
Man sollte beten, viel beten, und das tat ich überhaupt nicht.
Auch den Armen hatte ich nichts gegeben, ich lebte nur für mich selbst.
Das alles waren Sünden und dafür würde ich büßen müssen, wenn ich auf jener Seite lebte, zumindest, wenn das die Wahrheit war, denn das musste ich erst noch abwarten.
Niemand wusste es.
Ich hatte den Ruf eines Heiden, eines Ungläubigen, und das war schrecklich.
Wenn ich weiterlebte, würde mein Körper jenes ewige Feuer durchstehen müssen.
Wegen der paar Sünden, die ich begangen hatte.
Es war scheußlich.
Man nannte Ihn einen Gott der Liebe, aber war das Liebe, seine Kinder zu verdammen?
Ich zitterte vor jenem Gott, Den die Geistlichen kannten und über den die Bibel sprach.
Fing ich an, gläubig zu werden?
Ich begann zumindest, über Religion nachzudenken.
Ich träumte nicht mehr, sondern analysierte.
In mir veränderte sich etwas, jeden Tag, aber zu einem festen Wissen kam ich nicht.
Musste ich auf diese Weise durch Nachdenken bewusst werden?
Immerzu fragte ich mich das.
Dort hinten, dort lag es, dort lebte es, dort war Gott.
Welch eine Weite!
Oh, dieser riesige Raum; ich fühlte, wie ich klein wurde.
Er, der Schöpfer von all diesem Leben, von Himmel und Erde, hatte sich in einen Schleier gehüllt.
Er blieb für alle unsichtbar.
Und die Menschen wollten Ihn so gerne kennen, auch ich.
Alles dort oben schien mir unbegrenzt, ich sah kein Ende.
Dahinter schlug das Herz Gottes für all Seine Kinder.
Ich hörte es aber nicht schlagen, wie sehr ich mich auch anstrengte, zu lauschen.
Taugte mein Gehör nicht für Seinen mächtigen Klang?
Oder stellte ich mich falsch ein?
Musste ich mich so einstellen, wie ich meine Kunst erlebte?
Viele Menschen fragten wie ich: Warum und wozu dieses Leben, wozu diese Ungerechtigkeit, all jenes Schreckliche auf dieser Erde?
Menschen beteten zu Ihm und erhielten keine Antwort.
Menschen riefen und schrien um Hilfe und fanden kein Gehör.
Sie lebten in Schmerz, Leid und Elend, Hunger und Kälte, und beteten, dass sie davon erlöst werden mochten, doch es geschah nicht.
Auch diejenigen, die jeden Tag zur Kirche gingen, beteten ununterbrochen, auch ihre Gebete wurden nicht erhört und auch sie fragten Warum und Wozu.
Es kam kein Ende an all ihr Leid.
Kein Gott der Liebe griff ein und gebot den Herrschern Einhalt, Er ließ sie fortfahren, Menschenleben zu vernichten.
Dennoch war Er ein Gott der Liebe.
Unbegreiflich, Ihn als einen Gott der Liebe und der Gerechtigkeit anzuerkennen.
Auf keine einzige Frage vernahm man ein energisches Ja oder Nein.
Alles blieb in jenen unsichtbaren Schleier gehüllt und man kam nicht dahinter.
War dies das unbewusste Leben?
War Gott ein unbewusstes Etwas?
Sah ich das falsch?
Lehnte ich mich auf?
Fühlten nicht alle Menschen so wie ich?
Suchten sie nicht nach dem wahren und wahrhaftigen Leben?
Oder war ich eine Ausnahme?
Sollte der Mensch seinen Weg aus diesem Chaos finden müssen?
Man müsste glauben, sagte man, dann käme man zur Wahrheit.
Ich starrte und starrte lange in die Höhe, doch Gott fand ich nicht.
Es blieb dort oben starr, geheimnisvoll und nicht fühlbar.
Mir grinste die Tiefe des Weltalls entgegen, welche für keinen Menschen zu durchschauen war.
Es blieb blau.
Nur in der Nacht war dort das Leben der Sterne zu sehen.
Aber auch davon verstanden die Gelehrten nicht viel.
Lag darin das Geheimnis der ganzen Schöpfung?
Ich hätte Gelehrter werden sollen, denn die Wissenschaft interessierte mich stark.
Tausende von Jahren suchte der Mensch, fragte man „Warum und Wozu“.
Wie lange würde man noch fragen müssen?
Wann würde der Augenblick kommen, dass Gott sprach: „Seht, Ich lebe.
Fühlt, dass Ich euch alle lieb habe, dass Ich alles leite und lenke, was ihr weder versteht noch umfassen könnt.“
Ich würde es nicht mehr erleben, dafür war mein Leben zu kurz.
Vielleicht war ich morgen schon tot und dann würde all dieses Fragen und Flehen nach der Wahrheit vorbei sein.
Der Mensch hatte eine ungeheure Macht und dennoch war er ein Wesen, das nur einen Augenblick lebt.
Wen man gestern getroffen hatte, den gab es heute nicht mehr, denn der Tod hatte ihn gerufen.
Er war im Himmel oder würde ewig in der Hölle brennen.
Tot, ja, was war eigentlich tot?
Ein Wort mit einem scheußlichen Klang.
Ich begriff den Tod nicht, ebenso wenig die anderen Probleme.
Ich hatte drei Probleme: den Tod, Gott und mein eigenes Leben.
Gott war für mich das größte Rätsel.
Er schuf etwas Großartiges und ließ es sterben.
Wenn ich etwas Schönes zustande gebracht hatte, bewunderte ich es stundenlang und konnte nie genug davon bekommen, ich musste es immerzu bewundern.
Was aber war meine Schöpfung im Vergleich zu der Seinen?
Doch nichts.
Wie erstaunlich ist Seine Schöpfung, der Mensch, das Tier und alles andere Leben.
Aber das Schönste von allem Geschaffenen ist der Mensch.
Doch dieser starb und sollte zu Staub vergehen, zu nichts.
Aber warum hatte Er dann den Menschen geschaffen?
Ich konnte sehen, ich konnte hören und fühlen und ich konnte gehen, wohin ich wollte.
Alles am Menschen war vollkommen und trotzdem musste er einmal sterben.
Schlimmer noch, danach würde er brennen müssen!
Für die kleinen Sünden, die der Mensch beging, musste er auch noch büßen.
Ich litt darunter und fand das Urteil zu hart.
Konnte dieses Leben denn ein Ziel haben?
Für mich war dies alles eine Folter, ein undurchdringbares Etwas.
Wie sollte ich Gottes Wort annehmen können, jetzt, wo ich dies so in mir fühlte?
Zu glauben und nicht zu verstehen, alles ohne Weiteres akzeptieren, das schien mir unmöglich.
Roni war wie ein Adonis, sein Körper war anziehend, doch auch er würde einmal sterben.
Das tat mir leid für ihn, trotzdem gönnte ich ihm das Leben nicht.
In seinem Tod sah und empfand ich Gerechtigkeit.
Noch einige Jahre und dann war auch seine Schönheit vorbei.
Er neidete mir meine Kunst und meinen Erfolg.
Wie konnte Gott solch einen Charakter in ihn legen?
Ein vollkommener Körper und dennoch eine Bestie.
Denn unbestreitbar war er eine Bestie.
Jede Frau, die mit ihm in Berührung kam, war unwiderruflich verloren.
Er saugte sie leer und stießsie dann fort.
War das Gottes Willen?
Warum gab Er diesem Tier solch eine Macht, zu zerstören und kaputtzumachen?
Wenn er nicht auch sterben würde, wäre ich womöglich imstande, ihn zu töten.
Dann gäbe es kein Leid und keinen Schmerz und keine unschuldigen Herzen würden mehr gebrochen.
Aber auch er würde sterben, das stand fest.
Sieh, allein schon dafür konnte ich Gott wieder dankbar sein.
Nur in diesem einen Punkt war Gott vollkommen und gerecht.
Niemand, kein Mensch oder Tier, konnte am Leben bleiben, das Leben behalten.
Alles starb und musste vergehen.
Gott hatte Roni nicht nur seine Schönheit gegeben, sondern auch noch wunderschöne Gaben, die er verschendete.
Aus seiner Kunst wurde nichts, er lebte sich aus und brachte nichts als Kummer.
So war mein Freund Roni, und trotzdem war er ein begnadetes Menschenkind.
Ist Gott nicht unbegreiflich?
Wer sollte Ihn verstehen können?
Lief so etwas nicht allem zuwider?
So ein Tierimensch, wie Roni es war, ließ man gewähren, er konnte auf Gedeih und Verderb tun, was er wollte.
Was für eine schreckliche Ungerechtigkeit!
Andere würden etwas Schönes zustande bringen können, wenn ein solches Kunstgefühl in ihnen läge.
Viele sehnten sich danach und dennoch empfingen sie nichts von diesen herrlichen Eigenschaften.
Auch das war für mich ein Rätsel.
Schon in meiner Jugend kamen solche Gedanken in mir auf und ich fragte mich, warum der eine so viel irdisches Glück erhielt und der andere Hunger und Elend leiden musste.
Ich fühlte, wie noch mehr Fragen ich in mich kamen, doch es war nun einmal vergebliche Mühe, noch länger Fragen zu stellen.
Ich fühlte mich nun ein wenig ruhiger und nicht mehr so gejagt.
Dieses Nachdenken in der freien Natur hatte mir Ruhe geschenkt.
Dieses Philosophieren war gut für mich, es brachte mich in eine bessere Stimmung.
Es war bereits spät am Nachmittag, bis ich nach Hause zurückkehrte.
Ich wollte mit einer neuen Skulptur anfangen und würde Marianne bald ausstellen.
Was sollte ich nun modellieren?
Etwas, was mich zur höchsten Inspiration führen würde.
Aus meinem tiefsten Inneren kamen Gedanken in mir auf, die mich erschaudern ließen.
So etwas schien mir undenkbar.
Wie sollte ich Ihn modellieren?
Ich kannte Ihn nicht, fühlte Ihn nicht und begriff nichts von Ihm.
Und ich musste Ihn fühlen, gänzlich nachempfinden können, wenn ich etwas zustande bringen wollte.
Aber in mir lag auch noch der Gedanke an den Tod, diesen Schrecken, der einem Menschen das Leben abschnitt, und auch ihn wollte ich darstellen.
Der Tod, dieser Gedanke kam in mir auf, würde ein prächtiges Werk werden, ein Schaffensprodukt von höchstem Rang.
Doch ich fühlte noch einen anderen Plan aufkommen und dieser schien mich noch mehr anzuziehen.
Ich würde einen Adonis machen und ihn sterben lassen.
Der sollte Roni darstellen, in ihm lag das Leben und der Tod.
Wie würde ich diese beiden verbinden können?
Ich dachte lange nach, um es gänzlich nachzuempfinden.
Wie schön waren diese Gedanken; ich hielt mich für ein Genie im Denken.
Der Tod und Roni, und Gott als Schöpfer dieser Gruppe.
Wie tief gedacht war das Ganze.
Die Leute würden in Anbetung niederknien, wenn es mir gelingen würde, das Werk zustande zu bringen.
Ich fühlte bereits die Bedeutung dieser Skulptur.
Für mich war sie Gott, das Leben und der Tod.
Sie konnte nicht schöner, nicht tiefer, nicht vollkommener sein.
Ich kehrte an den Ort zurück, von dem ich gekommen war, um weiter nachzudenken.
Die Natur musste mir helfen, sonst schaffte ich es nicht.
Ich musste es durchfühlen, es gänzlich in mir fühlen, erst dann konnte ich es erleben.
Wenn ich einmal so weit wäre, wäre ich bereit und könnte mit dem Gestalten beginnen.
Jeder sollte ihn in dieser Darstellung erkennen, meinen Freund, den ich hasste.
All meinen Hass würde ich hineinlegen.
Sein Leben würde ich verspotten, ihm zeigen, dass er dem Tode geweiht war.
Ich war erfreut und fühlte mich glücklich, dass diese Gedanken in mir aufgekommen waren.
Ob wohl je ein Künstler daran gedacht hat?
Woher kamen diese Gedanken?
Waren es überhaupt meine?
Sie waren beängstigend tief, für einen Menschen kaum zu fassen.
Doch es musste möglich sein, dies zu vollenden.
Noch war es ein unbewusster Gedanke, doch er würde sicher bewusst werden.
Nun wurde mir auch dies klar, denn nun fing ich an, etwas von dem Unbewussten und dem Bewussten zu fühlen.
Als ich diese Skulptur durchdachte, war ich mir dessen bewusst, dass ich sie erschaffen konnte.
War dies die richtige Vorstellung, das wahre Bewusstsein, oder war das nicht der Fall?
Nun begann ich wieder aufs Neue.
Doch ich sollte bei diesem Einen bleiben, nicht an andere Dinge denken, allein dieses Große in mich kommen lassen, um es zu Bewusstsein zu bringen.
Ich fühlte mich glücklich, in mir war eine neue Kraft erwacht.
Erlebten alle meine Brüder in der Kunst ihre Schaffensprodukte so wie ich?
Ich würde einige danach fragen, die noch Sympathie für mich empfanden.
Vielleicht konnten sie mir neue Eindrücke geben.
Von meinem Plan würde ich ihnen jedoch nichts sagen, der blieb mein Geheimnis.
Ich stand auf und eilte zu ihnen, vielleicht würde ich sie noch treffen.
Ruhe würde ich ja doch nicht haben, ich musste sogleich handeln.
Gleichzeitig würde ich versuchen, meinen Freund Roni zu ergründen, denn dies war notwendig, da ich ihn ganz und gar kennen musste.
Ich würde lange Spaziergänge mit ihm machen, ihn doch in mein Atelier hineinlassen, damit meine Freundschaft unerschütterlicher erschien.
Ich musste ihn öfter sehen, öfter treffen, sonst würde meine Kreation nicht vollkommen werden.
Und sie sollte die Krönung meines Werks sein.
Meine Idee war herrlich, unglaublich schön und tiefsinnig.
Ich wollte ihn sehen, ich wollte ihn sehr lange anschauen.
Falls er dies spürte, würde ich sagen, dass ich mit einem neuen Werk angefangen hätte und dass es Ähnlichkeit mit ihm aufweisen sollte.
Er würde mich merkwürdig finden, aber man hielt mich ja schließlich ohnehin für einen Träumer?
Jetzt fand ich das lustig und nutzte es.
Ich hatte die Hoffnung, auch vielen anderen zu begegnen.
Ich würde die Gefühle von allen ergründen, zumindest, wenn dies möglich war.
Ich fing erst jetzt an, mich für meine Freunde zu interessieren und nach ihrem Inneren zu suchen.
Als ich eintrat, sah ich, dass er da war.
War er etwa angetrunken?
Er trat auf mich zu und schüttelte mir herzlich die Hand und sagte: „Mein Lantos, bester Freund, endlich wieder einmal zusammen.
Zu lange haben wir uns nicht gesehen!“
Ich war verwundert, am Morgen war ich ihm noch begegnet.
So war es immer mit ihm, trinken und sich amüsieren, aus Arbeiten wurde in letzter Zeit nichts.
Welch ein Gegensatz: sein wunderschöner Körper und sein abscheulicher Charakter.
Ich begann, seine Gefühle zu ergründen, und sah ihn durchdringend an.
„Ich werde sie modellieren, Lantos, ich werde aus meiner Geliebten etwas Schönes machen“, sprach er.
Ich musste mich anstrengen, um nicht loszulachen.
Er würde etwas Schönes machen – nun, dann war er verliebt und seine Macht war gebrochen.
Wir ließen uns gemeinsam in einer Nische nieder.
Roni war sehr lautstark und ich ermahnte ihn, ein wenig ruhiger zu sein.
„Wie du wünschst, Lantos, ich werde mich beherrschen.“
Seine Höflichkeit vergaß er nie, auch wenn der Wein sein Gefühl getrübt und seinen Kopf wirr gemacht hatte.
„Ein wunderschöner Nachmittag, Lantos, schade, dass du nicht mitgekommen bist.“
Er schien sich an unsere Begegnung zu erinnern und sagte: „Dürfen wir gemeinsam zu dir kommen?
Du wirst ein schönes Paar sehen und große Augen machen.“
Schöner ging es nicht und ich sagte begehrlich zu.
„Morgen kannst du zu mir kommen“, sagte ich.
„Wenn du willst, dann bring sie mit, ich möchte sie gerne kennenlernen.“
Er fasste meine beiden Hände und drückte sie herzlich.
„Ich dachte wohl, dass du zustimmen würdest.
Du bist mein Freund, Lantos, und wirst es bleiben, nicht wahr?“
Ich gab keine Antwort und er fuhr fort: „Wie spät kannst du uns empfangen?“
„Um ein Uhr am Mittag“, sagte ich; es war mir egal.
„Ich muss dir etwas mitteilen, Lantos.“
„Ich höre“, sagte ich, neugierig, was er mir wohl zu erzählen hätte.
Natürlich wieder von seinem Leben und seiner jüngsten Eroberung.
„Ich bin zu weit gegangen, Lantos, es muss etwas geschehen, was mir sehr unangenehm ist.“
Ich verstand sofort, was er meinte.
Schuft, dachte ich, auch das noch.
„Hast du vor, sie zu heiraten?“
Er brach in schallendes Gelächter aus, wie teuflisches Lachen klang es in meinen Ohren.
„Wie kommst du darauf, Lantos.
Meine Freiheit, bester Freund, ist mir zu lieb.
Was rätst du mir, was soll ich tun?“
„Das weiß ich nicht, darauf kann ich dir keine Antwort geben.“
„Sie ist es wert, Lantos, sie ist schön.“
„Warum heiratest du sie dann nicht?“
„Wie ich dir gesagt habe, ist mir meine Freiheit so lieb.
Aber sag mir, was ich machen soll?
Ich kann mich nicht lösen, wo ich auch bin, sie findet mich und fragt, was wir nun tun sollen.
Sie ist stärker als ich, sie lässt nicht mit sich spielen, Lantos.
Jetzt habe ich mich mal verrechnet, denn einem solchen Wesen bin ich noch nicht begegnet.
Glaube mir, wenn ich dir sage, dass ich mich gerne befreien will, sie gern von mir abschütteln würde, aber das ist mir nicht möglich.
Ich kenne sie besser als mich selbst.
Komm, sag es mir, gib mir einen Rat, was soll ich tun?“
„Du willst eins Skulptur von ihr machen?“, fragte ich.
„So etwas, aber ich weiß noch nicht, ob es mir gelingen wird.
Ich muss etwas tun, aber was?
Siehst du, das ist nur ein Mittel, um mir Zeit zum Nachdenken zu gönnen.
Aber meine Freiheit, meine so geliebte Freiheit, Lantos!“
Falscher Hund, dachte ich, wie gemein du bist.
All meine guten Absichten wurden durch seine teuflischen Gedanken erstickt.
Plötzlich sagte er: „Ach ja, stimmt, ich muss gehen.
Ach, dass ich daran nicht gedacht habe.
Ich muss gehen, Lantos, bis morgen, nicht wahr?“
Er reichte mir seine Hand und ging weg.
Ein merkwürdiger Mensch.
Gerade eben noch betrunken, nun war er auf einmal nüchtern.
Wie konnte das sein?
Wodurch kam diese Veränderung so plötzlich?
War sein Tun und Lassen künstlich, nur gespielt?
Ließ ich mich täuschen?
Spielte er ein Spiel mit mir?
Aber nein, das war wieder zu weit hergeholt, ich musste ihm glauben und ihm etwas mehr Vertrauen schenken.
Die Stunden vergingen und ich saß noch an derselben Stelle und dachte nach.
Endlich stand ich auf und ging fort.
Meine Kunstbrüder hatte ich nicht ergründet, hatte sie nichts fragen können, diejenigen, die dort gewesen waren, mussten noch erwachen.
In ihnen lag jenes Gefühl nicht, sie waren leer und unbewusst.
War „ich“ denn bewusst?
Immer und überall dieses bewusste und unbewusste Leben.
Ich war tief getroffen von all dem, was er mir erzählt hatte.
Armes Menschenkind, das dieses Leid traf.
Erst nannte er sie eine Bauersfrau, dann wieder eine Schönheit, und nun das.
Falls sie eine andere Persönlichkeit war als er, interessierte es mich, dieses Wesen zu treffen und es kennenzulernen.
Für mich war es unmöglich, durch Ronis Maske hindurchzuschauen, und sie sollte es können?
Aber Frauen waren anders als Männer, sahen schärfer und fühlten tiefer, wenn es ums Ganze ging.
Ich war sehr gespannt, nicht nur, sie zu sehen, sondern auch, sie kennenzulernen.
Möglicherweise half mir das für mein neues Werk.
Vielleicht war sie ein Wunder, mit anderen Kräften begabt als die, die ich kannte und besaß.
War sie ihm in allem überlegen?
Das war kaum möglich.
Dann müsste sie eine Teufelin sein.
Auch in ihm sah ich einen Teufel in Menschengestalt.
Ein fabelhaftes Paar!
Einem Teufel und einer Teufelin zu begegnen war amüsant, aber gleichzeitig war es gruselig, ein solches Gespann kennenzulernen.
Ich sehnte mich schon nach morgen.
Schade, dass ich sie nicht für diesen Abend oder diese Nacht eingeladen hatte, aber das war nicht mehr möglich.
Also musste ich bis morgen warten und nicht ungeduldig sein.