Wie ich lernte, mich zu beherrschen

An derselben Stelle, wo ich gesessen hatte, hatte ich mich niedergelegt.
Wieder träumte ich, dass ich auf der Erde war und meine Frau mit jemand anders sah; sie führten ein Gespräch miteinander.
Das Gespräch, das ich mitanhörte, wurde verhängnisvoll für mich.
„Ja“, hörte ich meine Frau sagen, „das hörst du erst jetzt, wo er tot ist.
Es ist nicht zu glauben; wer hätte sich das nun denken können?
Ich finde es furchtbar für mich!“
„Ja“, sagte die andere Person, „wie man sich doch irren kann.
Jeder hat seine (eigenen) Geheimnisse.
Wenn der Mensch gestorben ist, lernt man ihn kennen.“
Geheimnisse, dachte ich, und in mir kochte es bereits.
Was für Geheimnisse?
Dann sagte meine Frau wieder: „Ach, wenn er noch lebte.“
Ich hörte sie noch mehr sagen, aber durch meine Wut ging ihr Gespräch für mich verloren.
Ich glaubte, zu ersticken.
Wusste sie etwas über mich?
Hatte ich etwas getan?
Aber das war doch nicht möglich?
Mir war nichts bewusst.
Hatte da jemand über mich getratscht?
Was war das für ein Gerede, „wenn er noch lebte?"
Lebte ich denn nicht?
Sie traf mich bis ins Tiefste meiner Seele.
Das hatte noch gefehlt; ich hatte noch nicht genug Elend.
In diesem Zustand wurde ich wach und dachte über dieses Gespräch nach.
Es machte mich nervös und ich fühlte, dass ich wütend wurde.
Wer hätte das gedacht!
Glaubte sie dem Geschwätz?
Kannte sie mich nicht?
Konnte sie mir nicht glauben?
Hatte ich sie betrogen und war ich ein Betrüger?
Ich fühlte, dass meine Krankheit zurückkam und dass diese ganzen irdischen Qualen wieder in mir aufkamen.
Tausend Gedanken spukten durch meinen Kopf.
Nein, das war zu viel für mich.
Hatte ich sie jemals betrogen?
Konnte sie so über mich denken?
Wer war diese andere Person?
Was meinte sie mit: „Es ist furchtbar“ und „Jetzt, wo er tot ist, lernst du den Menschen kennen“?
Ach, könnte ich bloß aufhören; mir wurde schwindlig von meinen eigenen Gedanken.
Das würde ich ihr abgewöhnen; ich wollte sehen, wer hinter meinem Rücken so über mich reden konnte.
Mein Hals wurde wieder dick und ich bekam einen schrecklichen Durst.
Dann versuchte ich, mich zu beruhigen, doch es gelang mir nicht.
Nochmals kehrte ich in Gedanken zur Erde zurück, ich wollte die Wahrheit wissen.
Wer besudelte meinen Namen?
Wer machte mich nach meinem irdischen Tod schlecht?
Ich war in einen Zustand gekommen, den ich noch nicht erlebt hatte.
Hinzu kam dieser schreckliche Durst, denn mein Halsweh und das Fieber kamen wieder zurück.
Sollte ich denn nie davon befreit werden?
Ich fühlte, wie ein stechender Schmerz in meine Brust kam, auch bekam ich wieder diese Angst, die ich auf der Erde die ganze Zeit gehabt hatte.
Ich schrie um Hilfe, doch es war niemand in meiner Umgebung.
Dann rief ich nach dem Bruder, aber auch er kam nicht, sodass ich mit all dem Ärger und Elend allein blieb.
Ich wollte dem hässlichen Gerede ein Ende machen; ich war nicht tot, ich lebte und hatte sie nicht betrogen, niemals!
Ich würde ihr zeigen, dass ich mich vor ihr nicht zu schämen brauchte, denn ich war nicht so gemein wie sie es von mir dachte.
Ich fürchtete, verrückt zu werden, und schlug mir in meiner Verzweiflung mit der geballten Faust auf die Brust, sodass ich zusammenzubrechen drohte.
Darauf sprang ich von dem Platz auf, wo ich gelegen hatte, und lief wie ein Wilder im Kreis herum.
Ich konnte fast keinen Laut mehr von mir geben und fühlte, dass mein Körper glühte, wie er auf der Erde geglüht hatte, als das Fieber am höchsten war.
Aber ich musste mich ruhig halten, denn ich fiel von einem ins andere und war zu nichts mehr imstande.
Ich wollte ruhig sein und nachdenken, doch es gelang mir nicht, wie sehr ich es auch wollte.
Es war bereits zu spät, ich hatte die Selbstbeherrschung verloren und fühlte mich, als wenn ich hin- und hergeschleudert würde.
Wo war der Bruder, warum ließ man mich jetzt allein?
Ich konnte fast nicht mehr aus den Augen sehen, die Natur und alles um mich herum veränderte sich.
Das Licht, das ich wahrgenommen hatte, wurde schwächer und es war, als wenn es finster wurde.
Kein Licht, kein Mensch, den ich etwas fragen konnte!
Mein Gott, hast Du denn kein Erbarmen?
Was habe ich getan, dass ich so leiden muss?
„Gott“, rief ich, „Gott, hilf mir doch!
Falls es einen Gott gibt, kannst Du dies dann gutheißen?
Warum lässt man mich hier so alleine?
Ich werde verrückt, ich werde verrückt.“
Abermals zwang ich mich zur Ruhe, was mir bald einigermaßen gelang.
Nachdenken wollte ich, ich musste und würde die Wahrheit wissen.
Ich dachte an den Beginn, als ich mit dem Bruder hier ankam und er mir von allem, was hier lebte, erzählte.
An jedes Wort konnte ich mich erinnern.
Danach hatte mich dieser Schlaf überfallen und ich hatte geträumt.
Jetzt gut aufpassen, so sprach ich zu mir selbst, und bleib ruhig.
In meinem Traum hörte ich Stimmen reden, danach wurde ich wach, fühlte, dass ich wütend wurde und dass alle alten Symptome zurückkamen.
Diese verfluchte Krankheit aber auch, wann würde ich bloß gesund werden?
Aber das war mir jetzt egal.
Es ging mir um diesen Klatsch, ich wollte wissen, warum sie so sprach.
Doch ich konnte meine Krankheit nicht von mir abschütteln.
Diese kroch wieder in mich und ich fühlte mich wie auf der Erde.
Furchtbar, dachte ich, in welch einem Zustand bin ich.
All das Geschwätz über geistiges Dies und Das, Sphären hier und da – ich werde noch wahnsinnig von all dem Geistigen.
Und das sollte ich mir zu eigen machen müssen?
Ich war nicht ich selbst und würde es nie mehr werden!
Sehr schnell rasten mir all diese Gedanken durch den Kopf, ich konnte jedoch keinen einzigen festhalten.
Ich steckte in einen geistigen Wirrwarr und sah Sphären, Menschen, Tiere und die Natur, alles, durcheinanderwirbeln.
Dann war plötzlich Ruhe und ich hörte, wie in mir gesagt wurde, als spräche ein anderer in mir: „Wer hetzte sie auf, wer war derjenige, der unser Glück zerstörte?“
Aber auch diesen Gedanken konnte ich nicht festhalten, denn andere kamen und verdrängten ihn.
Dann rief ich wieder um Hilfe, fühlte aber, dass meine Kehle wie zugeschnürt war.
Mein Hilferufen war ein ekelhafter, heiserer Laut, das Geschrei eines Wahnsinnigen.
Dazu diese Finsternis, von der ich nichts verstand.
Keinen Stern, keinen Lichtblitz sah ich.
An nichts konnte ich mich festklammern.
Ich verwünschte den Augenblick, da ich geträumt hatte, und alles, was mit meinem Leben auf der Erde zu tun hatte.
In mir herrschte ein Chaos aus geistigen Problemen.
Ich befand mich inmitten vieler Probleme und nichts war mir klar.
Von Gott erhielt ich keine Antwort.
Den Bruder sah ich nicht und kein Wesen war in meiner Nähe.
Nochmals rief ich mit aller Kraft, die in mir war, sodass ich glaubte, dass meine Kehle zerreißen würde, aber der Bruder kam nicht.
Ruft mich, wenn Ihr meint, dass Ihr mich braucht, hatte er gesagt.
Nun schrie ich und es kam kein Wesen zu mir.
Ich verfluchte diese ganzen Probleme, verfluchte mich selbst, meine Frau auf der Erde und alles, was um mich herum und in mir war.
Ich verfluchte all die schweigenden Menschen, die an sich selbst arbeiteten und träumten und dachten und überdachten, was sie erlebt hatten, die an mir vorbeigingen wie lebende Tote, und ich verfluchte den Augenblick, da ich hier angekommen war.
War dies nun mein Himmel im Leben nach dem Tod?
Ich war in einem Irrenhaus und diejenigen, die mit mir sprachen, und auch diejenigen, die in der Natur umherspazierten, sind alles gescheite Irre.
Da überfiel mich wieder ein Schwindel, sodass ich mich zum zweiten Mal niederlegte.
Doch ich konnte nicht schlafen, wie gerne ich es auch wollte.
Die Gedanken folgten aufeinander; mein Zustand verwirrte mich hoffnungslos.
Aber ich wollte schlafen und konnte nicht schlafen.
In meinem kranken Kopf schwirrte alles durcheinander; es war so schlimm, dass das bisschen Konzentrationsvermögen, das in mir war, vernichtet wurde.
Ich, der ich nichts war, hämmerte auf jenes Nichts ein, während ich die Besinnung zu verlieren glaubte.
Aber auch diese verlor ich nicht, ich blieb bewusst; bloß konnte ich nicht schlafen.
Der Wahnsinn lag in mir und um mich herum und in diesen ganzen Menschen, diesen ganzen geistigen Kräften und in dieser Aneignerei, darin sah ich das Werk des Teufels.
Dieser Dämon hatte mich im Griff; ich hatte mich verirrt und war an einem furchtbaren Ort gelandet.
Dieser Gedanke wirkte so sehr auf mich ein, dass ich zu platzen glaubte, falls nicht bald Rettung kam.
Wenn die Menschen, die hier leben, sich für andere abrackern wollen, so müssen sie mir zu Hilfe kommen, und wenn sie die Gedanken anderer auffangen können, dann müssen sie mich nun hören.
Aber wo blieben sie?
Nichts sah ich von diesen Menschen.
Trottel, arme Teufel waren sie, genauso wie ich, und sie bildeten sich bloß etwas ein.
Abstimmungen im Geist, ich musste darüber lachen.
All diese Abstimmungen machten mich wahnsinnig.
Ha, ha, ihr mit diesen ganzen guten Eigenschaften, dann kommt doch, kommt, ich brauche euch, ich brauche Hilfe.
Hilfe, Hilfe, schrie ich wieder, um es noch einmal zu versuchen, doch ich fand kein Gehör.
Die dunkle, graue Natur lastete wie Blei auf mir.
Wo war ich gelandet?
Wie lehnte ich mich auf; so hatte ich mich selbst noch nicht gekannt.
Ich war nicht ich selbst, das fühlte ich deutlich.
Aber durch was und durch wen war ich in diesen Zustand gekommen?
Mein Durst quälte mich sehr, ich wollte trinken und rannte fort, um den Wassergraben zu finden, den ich gesehen hatte.
Aber wie sehr ich auch suchte, ich konnte ihn nicht wiederfinden.
Oh, dieser abscheuliche Durst!
Was hatte der Bruder gesagt?
„Ihr habt keinen Durst und keinen Hunger und es gibt keine Krankheit!
Ihr braucht nicht krank zu sein, denn Ihr lebt im Geist und Ihr seid auf der Erde gestorben!
Euer Leben ist ein Leben in Gedanken, wenn Ihr dies nur akzeptieren wollt.“
Akzeptierte ich denn nicht?
Dachte ich nicht nach?
Ich wurde verrückt davon!
Und ferner hatte der Bruder gesagt: „Ich bin auch auf der Erde gewesen wie Ihr, ich lebte dort, aber in einem anderen Zustand.“
Unsinn, verworrenes Zeug, so sprachen Irre; es war nichts als verworrenes Zeug.
Hier leben nur Geisteskranke; davon war ich nun überzeugt.
„Wir sind Brüder und Schwestern im Geiste“, hörte ich ihn, der mir all diesen Wahnsinn erzählt hatte, noch sagen.
Sie lebten für Gott, sie lebten für alle Menschen.
Sie lebten für diejenigen, die zu ihnen kamen; und mich ließ man allein im jämmerlichsten Zustand, in den ein Mensch geraten konnte.
Wenn ich nicht mehr normal war, waren sie es ebenso wenig.
Tief in mir fühlte ich einen brennenden Schmerz.
Es war ein merkwürdiges Gefühl, das ich nicht in Worte fassen konnte.
Es war, als würde ich von etwas verzehrt, denn es verbrannte mich.
Durch diesen Brand wurde mein Durst noch schlimmer.
Doch auch diese Gefühle verblassten und ich fing wieder von vorne an zu denken.
Denn ich wollte die Wahrheit wissen.
Ich wollte wissen, was dieses Gerede auf der Erde bedeutete.
Es ließ mir keine Ruhe und ich kam immer wieder darauf zurück; diese Gedanken drängten sich mir gewissermaßen von selbst auf.
Wo konnte ich die Wahrheit finden?
Es war doch gemein, so über mich zu reden.
Während ich in Gedanken wieder auf der Erde verweilte und jenes Gespräch abermals anhörte, spürte ich plötzlich, dass Ruhe in mich kam.
Ich glaubte, dass ich mich nun besser konzentrieren konnte, oder bildete ich mir das ein?
Nein, ich war ruhig und hörte aufmerksam zu.
Aber gleichzeitig war ich vorsichtig; ich suchte mich selbst, denn ich wollte bei einem Zustand bleiben.
Wenn mir das nur gelang, dann würde ich weiterkommen.
Da sprach ich zu mir selbst: „Gerhard, was machst du, du bist dabei verrückt zu werden, wenn du nicht ruhig bleibst!
Warum regst du dich so auf?
Ja, warum eigentlich?"
Ich fühlte, dass ich still wurde, ganz still, fuhr jedoch fort: „Bist du tot oder lebst du?"
Ja, ich war tot und gleichzeitig lebte ich.
Nun vernahm ich wie soeben eine Stimme, die in mir sprach und die sagte: Bedeutet es dir denn nichts?
Doch, es bedeutete mir sehr viel, nur was?
Von wem kamen diese Gedanken?
Meine waren es auf keinen Fall, aber von wem (waren sie) dann?
Ich bekam hierauf keine Antwort und begann wieder von neuem.
Wenn ich ja doch tot war, was kümmerte mich dann noch das Gerede auf der Erde?
Dort war ich ohnehin nicht mehr, und dort wurde schließlich fortwährend hinter dem Rücken der Leute geredet?
Die Menschen waren gemein, und sollte ich mich deswegen aufregen?
Ging mich das noch etwas an?
Merkwürdig, jetzt, da ich mich etwas beruhigt hatte, empfand ich keinen Durst, keinen Schmerz, und meine Krankheit war abgeklungen.
Alles war fast verschwunden, jetzt, da ich ruhig nachdachte.
Auch das Licht veränderte sich, denn es war nicht mehr so finster.
„Bleib jetzt ruhig“, sagte ich zu mir, „lass es dich nicht wieder überkommen.
Bleib ruhig, Gerhard, du bist auf dem richtigen Weg; das Rätsel wird sich für dich lösen.
Denke, aber bleib ruhig.“
Es erwachte etwas in mir und dadurch fühlte ich, wie ein gewisses Glück in mich kam.
Noch war ich ruhig, wagte aber fast nicht, zu denken, ängstlich wie ich war vor dem, was mich wieder rasend machen könnte.
Ich legte eine Mauer der Selbsterhaltung um mich herum, denn ich wollte um nichts in der Welt in den vorigen Zustand zurückfallen.
Ich stand da und zitterte.
„Bleibt, wie Ihr nun seid, Gerhard, haltet durch!“ – unwillkürlich sprach ich die Worte des Bruders nach – „haltet durch, dass Ihr nichts mehr mit der Erde zu tun habt, dann werdet Ihr so weit kommen.“
Viele Male wiederholte ich diese Worte und es gelang mir, ruhig zu bleiben.
Trotzdem musste ich nachdenken, sonst kam ich nicht weiter.
Ich wollte hier heraus, so bald wie möglich musste ich alles wissen.
Ich fühlte, dass hier etwas ausgefochten werden musste, und dachte an meine Frau und diese andere Person, die ich nicht gesehen hatte.
Was sie zueinander gesprochen hatten, war furchtbar, aber hatte ich etwas damit zu tun?
Wenn ich auf der Erde gewesen wäre, was hätte ich dann getan?
Es ihr bewiesen, indem ich mit ihr redete.
Genau, ich würde reden, aber würde ich damit etwas erreichen?
Wenn sie mir nicht glaubte, könnte ich nichts daran ändern und müsste es akzeptieren.
Und warum tat ich es denn dann jetzt nicht?
„Löse dich, Gerhard, löse dich von diesen ganzen Gedanken, du hast nichts mehr (damit) zu tun; du bist schließlich gestorben?
Weg, du bist weit weg von der Erde.“
Im selben Augenblick zerbrach etwas in mir und ein feuriger Lichtstrahl durchbohrte die Finsternis und machte mich zutiefst glücklich.
Ich fühlte und begriff, dass ich mich vergessen hatte.
Das Leben auf der Erde ging mich nichts mehr an, also musste ich auch jenes Leben fahren lassen und anfangen, anders zu denken, und wenn ich anders dachte, fühlte ich mich glücklich.
Dann war ich von Krankheit und Durst und allen anderen Qualen befreit.
Ja, das war es, ich hatte verkehrt gedacht.
Ich hatte mich selbst in diesen Zustand gebracht, weil ich mich nicht beherrschte.
Aber ... dann?
Ich wagte nicht, daran zu denken, denn dann hatte ich viele Leben und die Liebe und alle Menschen hier verspottet und verflucht.
Wie hatte ich mich so vergessen können?
Ich vergrub das Haupt in meinen Händen und wagte nicht mehr, Licht zu sehen.
Furchtbar, wie hatte ich getobt!
Ich sah um mich, doch es war kein Wesen in meiner Nähe.
Ob Gott alles wusste?
Dann neigte ich mein Haupt tief, ganz tief, und mir war traurig zumute.
Wie hatte ich gelitten!
Einen abscheulichen Kampf hatte ich ausgefochten.
Vergebens?
Ach, wie konnte ich dies alles wiedergutmachen?
War das möglich?
Ob ich es jemals konnte?
Doch da war etwas, das mich glücklich stimmte, tief in mir lag es.
Wenn ich im Stillen danach lauschte, dann fühlte ich es, und wenn ich es fühlte, konnte ich es hören.
War es etwas Schönes?
War dies das Glück?
Ich war tot, aber ich lebte; das war das Glück, das ich empfand.
Ja, o Gott, ich fühle es; ich hatte etwas überwunden, und durch jenen Kampf hatte ich mein irdisches Leben abgelegt.
Ich fühlte mich gelöst, völlig gelöst von der Erde und war nun befreit.
Wie dumm ist der Mensch, dachte ich, der das irdische Leben mit dem geistigen verwechseln wird.
Wie unbegreiflich ist der Mensch, wenn er sich und das Leben nicht kennt.
Ich dachte über alles nach, womit ich soeben verbunden gewesen war.
Mit einem Problem war ich verbunden gewesen und jenes Problem hatte sich in mir aufgelöst.
Ich glaubte nicht, dass ich gestorben war, aber jetzt, da ich akzeptierte, veränderte sich alles in mir und Krankheit und Elend waren verschwunden.
Ich hatte nicht glauben können, weil ich irdisch dachte; ich war diese ganze Zeit über ein lebender Toter gewesen.
Nunmehr waren mir all diese träumenden Menschen lieb, ich liebte sie, weil ich zu ihnen gehörte, und bat sie um Vergebung.
Alles wollte ich wiedergutmachen, denn nun begriff ich, warum mein Anzug aus Gummi war und zumindest vorläufig so bleiben würde.
Nun fühlte ich, dass ich lebendig wurde, und sah Licht, wenn jenes Licht auch nur ein ganz kleines schwaches Flämmchen war.
Ich war in dieses Leben eingegangen und hatte das irdische Leben abgelegt.
So musste es sein, es ging nicht anders.
Indem ich mich aufregt hatte, war ich im Gefühl wieder in das Leben auf der Erde übergegangen, sodass meine Krankheit und all die anderen Qualen zurückkehrten.
Wenn ich in diesem neuen Zustand bleiben konnte, würde mich nichts von der Erde mehr hindern können.
Es war abscheulich gewesen, aber ich hatte es ein für alle Male überstanden und würde darüber wachen, dass es nicht mehr zurückkam.
Tief in mir lag ein Funken jenes Großen, das der Bruder besaß.
Wer auf der Erde wagt von sich zu behaupten, dass er sich kennt?
Wie hatte ich dafür leiden müssen!
Oh, wenn der Mensch dem entscheidenden Augenblick gegenübersteht, dann wird er, wie ich es tat, alles verwünschen, um es später doch wieder akzeptieren zu müssen.
Jeder muss sich selbst überwinden, und ich hatte mich nun, zumindest teilweise, überwunden.
Denn das fühlte ich durchaus, es waren noch mehr von diesen verkehrten Eigenschaften in mir, die ich im Geist überwinden und umwandeln musste.
In diesem Kampf hatte ich jedoch mich selbst überwunden.
Damit hatte ich mein irdisches Leben abgelegt und war ins geistige eingetreten.
Um mich zu überwinden, hatte ich mich geschlagen und gegeißelt.
Nunmehr konnte ich mein Haupt neigen, und dennoch stand ich erst am Anfang jenes langen, ewigen Weges.
Es sollte noch so viel auf mich zukommen, das ich mir zu eigen machen musste.
Das Leid, das ich überwunden hatte und vor dem jedes Wesen stehen wird, ist, dass man sich selbst überwinden muss.
Dem wird niemand entrinnen, sei es hier in diesem Leben oder auf der Erde.
Die, die auf der Erde schon damit anfangen, gehören zu den Großen im Geist.
Sie werden hier nicht zu kämpfen haben, jedenfalls nicht diesen Kampf.
Wir werden diesen Kampf zu führen und unsere verkehrten Charaktereigenschaften abzulegen haben, immer wieder nur abzulegen haben, bis nichts von uns übrig bleibt.
Dann stehen wir in diesem großen, unendlichen Raum und jedermann kennt uns und durchschaut einen; aber dann haben wir auch nichts mehr zu verbergen.
So fühlte ich es, so lag es in mir, so würde ich werden müssen.
Ja, lieber Bruder, nun würde ich Euch besser verstehen können.
Nun empfand ich Glück und kannte keine Müdigkeit mehr; nichts behinderte mich in diesem Augenblick und ich saß da, den Kopf in die Hände gestützt, und konnte über alles nachdenken.
Glück und Ruhe waren in mich gekommen.
Plötzlich hörte ich eine sanfte Stimme, die ich kannte und lieb gewonnen hatte, zu mir sagen: „So, Bruder Gerhard, mein Freund.“
Gerhard?
Noch nie hatte der Bruder meinen Namen ausgesprochen, und er war es, der so zu mir sprach, es konnte nicht anders sein.
Kannte er meinen Namen?
Darin lag ein großer Charme.
Es schmeichelte mir und es tat mir gut, zu hören, dass mein Name ausgesprochen wurde.
Doch ich wagte es nicht, den Bruder anzusehen, und blieb so sitzen, wie ich saß, während er weitersprach.
„Wahrlich, ein Kampf auf Leben und Tod; ein Kampf, um vom Irdischen ins Ewige einzutreten.“
Seine Liebe durchdrang mich, aber ich rührte mich nicht.
Ich hatte schließlich ihn und alles, was hier lebte, soeben verflucht?
Nun hörte ich ihn sagen: „Dies musstet Ihr selbst ausfechten, ich konnte Euch dabei nicht helfen; Ihr musstet erwachen.
Alle, die hier eintreten, führen immer und immer wieder denselben Kampf, bis sie akzeptieren.
Zwei Eigenschaften habt Ihr abgelegt, beide gehörten zur Erde.
Die eine war der Tod, die andere Unbeherrschtheit.
Selbstbeherrschung habt Ihr Euch jetzt zu eigen gemacht.
Gott wird Euch für jeden Sieg belohnen, den Ihr über Euch selbst erringt.
Ihr habt gelitten, aber dafür gab der Tod Euch das ewige Leben, und die Selbstbeherrschung gab Euch diese herrliche Ruhe, die die Ruhe des Geistes ist.
Die eine führte Euch auf finstere Wege und ließ Euch Abgründe sehen und fühlen, die andere verbrannte Euren Hass und erstickte all Eure gewalttätigen Gefühle.
Es lohnt ganz gewiss die Mühe, dafür zu kämpfen und mit Euch selbst zu ringen.
Das Glück, das Ihr jetzt fühlt, habt Ihr anstelle davon bekommen, und Ihr habt Euch selbst bewahrt.
Viele gehen zugrunde, weil sie nicht die Kräfte dafür besitzen.
Macht weiter so, Gerhard, mein Freund und Bruder; ich werde Euch in allem helfen.
Ihr dachtet, dass Ihr Eure Frau sprechen hörtet, doch lasst es mich Euch erklären.“
Ich spitzte die Ohren; was bedeutete das?
Aber der Bruder fuhr fort: „Ich wollte allem zugleich ein Ende machen.
Ich hatte meine Berechnungen angestellt und wusste, dass Ihr Euch selbst besiegen würdet, und fühlte, wie weit ich gehen konnte.
Ich spielte ein Spiel, ein höchst gefährliches Spiel, mit Eurer ganzen Persönlichkeit als Einsatz.
Trotzdem riskierte ich nichts, denn ich wusste, dass Ihr siegen würdet – ich kannte Euch schließlich?
Auch ich spielte einst auf derartige Art und Weise, aber mit anderen Kräften, und auch mir wurde geholfen.
Ihr musstet Euch selbst verspielen; Ihr legtet alles ab und Ihr habt gewonnen.
Ich, Gerhard, brach Euch entzwei, sodass Euer irdisches Podest nun verschwunden ist.
Durch eine Vision verband ich Euch wieder mit der Erde, legte zwei gegensätzliche Kräfte in Euch und ließ Euch Unwahrheiten hören.
Ich war es, der zu Euch sprach, nicht Eure Frau.
Was Ihr also erlebtet, ja, seht mich an, Gerhard, geschah durch meinen Willen, weil ich Euch befreien wollte.
Ihr habt etwas im Geist erlebt, durch geistige Einwirkung habt Ihr also mit Euch selbst gekämpft.“
Ich sah den Bruder an und er spürte, woran ich dachte.
„Auch ich“, so sagte er, „verfluchte das Leben.“
„Aber ich verfluchte in Unwissenheit.“
„Das wird Gott auch Euch vergeben, wie er mir vergab.
Kommt, steht auf und geht mit mir, ich danke Euch für die Willenskraft, die Ihr bewiesen habt.“
Ich ergriff beide Hände des Bruders und küsste sie.
„Nicht das, Gerhard, nicht mir, sondern dankt Gott für alles, und kommt nun mit mir mit.“
Arm in Arm kehrten wir zum Gebäude zurück und ich fühlte mich wie der verlorene Sohn, der zurückkam.
Ich war ein anderer Mensch geworden.
„Nun seid Ihr frei“, sprach der Bruder, „und erst jetzt können wir zur Erde zurückkehren; das ist Eure Belohnung.“
„Zur Erde?“, fragte ich verwundert.
„Ja, zur Erde.
Habt Ihr denn keine Sehnsucht danach, Eure Angehörigen zu sehen?
Frau und Kind zum Beispiel?“
„Oh ja, ich möchte sie gerne wiedersehen.“
„Dann werde ich Euch abholen kommen, denn ich lasse Euch nun allein, da Ihr wohl das Bedürfnis fühlen werdet, einen Augenblick allein zu sein.“
Der Bruder ging fort.
Sogleich kniete ich nieder und betete lange und innig zu meinem großen Vater, den ich um Vergebung bat.
Danach kam eine herrliche Ruhe in mich und ich legte mich nieder, um nachzudenken und zu ruhen.
Es war nun still in mir, nichts störte die Ruhe und ich fühlte mich glücklich; das erste natürliche Glück seit meinem Sterben auf der Erde.