Mein Vater kehrt zurück

Unter denjenigen, die den sterblichen Überresten meines Vaters das letzte Geleit gaben, bemerkte ich auch meine Mutter.
Sofort nach der Zeremonie kam sie zu mir.
In dem Gespräch, das folgte, bewahrheitete sich eine neue Vorhersage Vaters.
Sie äußerte ihren Wunsch, bei mir einzuziehen, so könne sie gut meinen Haushalt führen.
Dass wir nun, wo Vater nicht mehr war, sicherlich gut miteinander auskommen würden, daran zweifelte sie keinen Augenblick.
Ich sei jung, so sagte sie, und wisse daher, was Ausgehen und Spaßmachen bedeuteten; ich würde sie besser verstehen können als Vater, der – nichts Schlechtes über die Toten – einen langweiligen Charakter hatte, selten fröhlich war und seine Nase lieber in ein Buch steckte.
Während sie redete, bekam ich die Gelegenheit, sie einmal gut zu mustern; wie unterschied sie sich von Vater, wie hart waren ihre Züge, und was für eine Kälte strahlten ihre Augen aus!
Selbst jetzt hatte sie noch kein gutes Wort für Vater übrig; im krassen Gegensatz stand ihre Einstellung zu der seinen, er hatte bis zuletzt mit Liebe und voller Versöhnungsbereitschaft über sie gesprochen.
Sie war nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht und grob und rücksichtslos; ohne auch nur eine Sekunde an meinen Kummer zu denken, bahnte sie sich einen Weg, um ihr Ziel zu erreichen.
Was ich von Ihrem Vorschlag hielte, fragte sie.
Ich sagte ihr kurz, eingedenk Vaters Worten, dass ich darauf nicht einginge.
Kurz war sie still, eine drohende Falte erschien zwischen ihren Augenbrauen, aber noch klang ihre Stimme scheinbar heiter, als sie antwortete, dass sie meine Einstellung wohl verstehen könne: Vater habe sie natürlich schlecht gemacht.
– Oh, sie wisse zu gut, wie er sie gehasst habe – aber sie sei wirklich anders, als Vater sie geschildert habe, das würde ich bald feststellen; sie habe viele Freunde in Amsterdam und Den Haag und auch hier in Rotterdam, junge, fröhliche Menschen.
Sie würde mich ihnen vorstellen und wir würden unendlich viel Spaß haben.
Und schließlich sei sie doch meine Mutter ...
Sie wusste zu gut, wie Vater sie gehasst und schlecht gemacht hatte – pfui, wie gemein sie war.
Deutlich sah ich ein, wie richtig Vaters Warnung war, sie würde im Nu versuchen, mich vollkommen zu beherrschen, mich in ihr Leben zu ziehen und es wäre, auch wenn ich mich dagen wehren würde, um meine Ruhe geschehen.
„Ich fange damit nicht an, Mutter!“
Nun war es aus mit ihrer vorgetäuschten Freundlichkeit und sie zeigte sich, wie sie war.
Hart und bedrohlich klang ihre Stimme, als sie ausrief: „Du setzt mich also vor die Tür, Rotznase.
Deine eigene Mutter!
Da bist du dir also ganz sicher?“
Ich antwortete ihr nicht, ich hätte ihr so vieles sagen können – hatte sie sich je um mich gekümmert, jemals selbst darauf gedrängt, mich zu sehen?
Dann bezwang sie ihre Wut – es schien, als erinnere sie sich an etwas.
„Also gut“, sagte sie, „vielleicht ist es auch wirklich besser, dass wir nicht zusammen wohnen.
Wir haben uns so lange Zeit nicht gesehen.
Jetzt aber etwas anderes: Vater ist tot, ich war seine Frau und zähle daher beim Erbe mit.
Wie viel ist das Geschäft wert?“
„Du hast deinen Anteil bekommen, Mutter.“
Ich erspare Ihnen die Schimpferei, die folgte.
Um es kurz zu machen: Sie nahm sich einen Rechtsanwalt, aber all ihre Mühe führte zu nichts, ihre Forderung wurde abgewiesen.
Während des Prozesses kamen Einzelheiten über ihr heutiges Leben heraus, so grässlich, dass ich Vater für seine Warnung dankte, denn ich wäre in der Hölle gelandet.
Zwei Monate vergingen.
Nach den ersten, so ereignisvollen Wochen brach eine ruhige Zeit für mich an.
Ich behielt unsere Haushälterin und den Gesellen.
Es fiel mir sehr schwer, mich an die Leere zu gewöhnen, die durch Vaters Tod in das Haus und mein Leben gekehrt war.
Seine Bücher, sein ganzer Besitz, alles im Haus erinnerte mich an ihn und sprach von unserer Freundschaft, die solch herrliche Stunden beschert hatte.
Das Geschäft verlangte meine vollste Aufmerksamkeit und nun segnete ich den Umstand, dass Vater mir schon früh die Leitung des Geschäfts übertragen hatte, sodass ich mit allem vertraut war.
Abends ging ich selten aus, meistens las ich.
Eines Abends bekam ich jedoch plötzlich das Gefühl, dass ich nicht alleine war.
Ich hatte dies bereits öfter gefühlt, war jedoch nicht darauf eingegangen.
Das Gefühl wurde immer stärker, ich konnte mich einfach nicht davon befreien.
Und plötzlich spürte ich einen Krampf in meinem rechten Arm.
Ich schwenkte ihn ein paar Mal herum, aber der Krampf ließ nicht nach.
Als ich meinen Arm auf den Tisch legte, beschrieb er drehende Bewegungen.
Es half nichts, mich dagegen zu wehren, der Krampf wurde stets heftiger.
Ein Schock durchfuhr mich, ich konnte es nun nicht länger ignorieren, ich wusste so deutlich, als ob es mir gesagt würde, dass Vater hier bei mir war und dass er durch mich schreiben wollte, genau wie er dies vor seinem Hinübergehen angekündigt hatte!
Schreck, Ergriffenheit und Zweifel durchfuhren mich in diesem Moment.
Ich suchte Papier und Bleistift und begab mich in das Zimmer, in dem Vater vorzugsweise gewohnt hatte und in dem er gestorben war.
Ich konnte mich gegen den Einfluss einfach nicht wehren und gab mich ihm nun vollkommen anheim.
Sofort begann meine Hand, zu schreiben.
„Du bist mir schon einer, Theo, mich solange warten zu lassen.
Hast du unsere Vereinbarung denn vergessen?
Muss ich es dir noch sagen: Ich bin es, Vater!
Wie schön war die Zeit, als wir zusammen waren.
Nun bin ich im Ewigen Leben.
Zweifelst du daran, dass ich es bin?
Zweifelst du an der Echtheit dieses Schreibens, mein Junge?
Glaube mir, Theo, folge deinem Gefühl, es wird dir sagen, dass ich es bin, der nun neben dir steht und deine Hand führt, dein Gefühl lügt nicht.
Herrlich ist es, mein Junge, so mit dir sprechen zu können.
Tote kehren nicht zurück, sagen die Menschen, aber wir wissen es besser.
Oh, Junge, ich bin Gott so dankbar für alles, was ich hier auf dieser Seite erhalten habe, so schön ist alles, so großartig und ergreifend.
Nun spreche ich mit dir...
Hat sich nicht schon vieles von dem, was ich dir vorhergesagt habe, bewahrheitet?
Ich hatte diese Weisheit aus den Sphären des Lichts bekommen, von Angelica.
Du kannst ein gutes Medium sein, Theo, und etwas für die Menschheit tun.
Aber dann musst du dich für unsere Seite öffnen und alle Zweifel fahren lassen.“
„Du hast gut reden“, dachte ich, als meine erste Ergriffenheit sich gelegt hatte, „es ist mir beim besten Willen der Welt nicht möglich, sofort an die Echtheit von alledem zu glauben.
Ich weiß doch, was da kommt; gibt es einen deutlicheren Beweis dafür, dass ich es selbst bin, der schreibt?!“
Hier begann meine Hand, erneut zu schreiben.
„Hast du denn die Séance vergessen, mein Junge, bei der Angelica als Meister Johannes über diese Weise des Kontakts sprach?
Von Gefühl zu Gefühl sende ich, was ich schreiben will, durch dich hindurch, somit weißt du vorher, was da kommt.
Trotzdem ist es nicht dein Eigentum.“
„Können Sie mir denn beweisen, dass Sie mein Vater sind?“
„Diese Beweise kommen, Theo, habe noch etwas Geduld.
Sobald die Zeit gekommen ist, wirst du sie erhalten, mein Junge.“
So sehr mein Verstand sich auch wehrte, mein Gefühl sagte mir deutlich und unwiderlegbar, dass es tatsächlich Vater war, der durch mich schrieb; ich fühlte seine Nähe, ich erkannte seine Sprache.
„Du musst mir ein paar Abende geben, denn ich will dir das Notwendige über unser Leben hier erzählen, vor allem über das, was ich selbst erlebt habe.
Ich werde dabei unterstützt, denn um diesen Kontakt aufzubauen, muss man Hilfe haben, und dafür ist wiederum Wissen erforderlich.
Wenn du dich jetzt nur für mich öffnen willst.
Fragen brauchst du nicht auszusprechen, das Denken allein reicht bereits aus; da wir von Gefühl zu Gefühl verbunden sind, fange ich sie auf.
Ich versichere dir, dass das, was ich dir erzählen werde, die heilige Wahrheit ist.
Oder ist etwa nicht wahr geworden, was ich dem Doktor, der mich insgeheim auslachte, über mein bevorstehendes Sterben vorhersagte?
Jetzt aber muss ich aufhören.
Demnächst mache ich weiter, lass uns gleich Tag und Stunde bestimmen, das ist besser.
Was hältst du vom nächsten Sonntag, sagen wir, um acht Uhr abends?
Also abgemacht.
Und nun grüße ich dich, mein lieber Junge, auf Wiedersehen, Theo.
– Vater.“
Meine Hand blieb liegen – und gleichzeitig fühlte ich, dass Vater wegging.
Ich war wieder allein in meinem stillen Zimmer.
Aber ... war ich nicht stets allein gewesen?
War ich es nicht doch selbst, der meine Hand zum Schreiben brachte?
Kurz fühlte ich einen Stich in meinem Inneren – was wird Vater von mir denken, wenn er mich so zweifeln fühlt?
Wenn Vater es war – ja – wenn.
Ein missmutiges Gefühl ergriff mich.
Hier musste Klarheit geschaffen werden.
Zu oft waren wir früher durch sogenannte Geister zum Narren gehalten worden.
Natürlich, es waren schöne, weise Gedanken zu uns gekommen, aber weitaus öfter wurden wir betrogen, ohne dass es zu uns durchdrang.
Lang nicht immer war man sicher, wer gerade das Wort hatte, ein Finsterling oder ein Meister, denn auch Ersterer behauptete manchmal kaltblütig, dass er im Namen Gottes komme.
Und dann gab es da noch die Theorie aus dem Buch über die schreibende Mediumschaft, das ich einmal las: Nicht die Geister schrieben, sondern das Medium selbst, und dabei schöpfte es aus seinem Unterbewusstsein.
Ich musste über dieses Thema einmal mehr lesen.
Bereits am nächsten Tag ging ich zu einem Buchhändler, der mir bekannt war, und kaufte bei ihm einige Bücher über dieses Thema.
Sie sollten mir erzählen, was ich glauben konnte und was nicht.
Einfach war die Lektüre nicht, die vielen fremden Bezeichnungen in den Büchern verwirrten mich.
Aber ich arbeitete mich durch und mit jeder Seite wurde mein Vertrauen in die Phänomene, die ich erlebt hatte, geringer.
Auch diese Bücher schrieben sie dem Selbstbetrug des Mediums zu.
Sie kämen aus seinem Unterbewusstsein.
Die Gedanken und Sehnsüchte, die in ihm lebten, träten aus dem Unterbewusstsein hervor und würden sich als Geister offenbaren.
Viele Phänomene wurden auch abgewertet, indem sie der Telepathie zugeschrieben wurden.
Nein, es blieb herzlich wenig übrig von allem, was ich auf diesem Gebiet erlebt hatte.
Die Bücher endeten mit der dringenden Warnung, niemals an derartigen Séancen teilzunehmen, dies wäre Gott nicht wohlgefällig, denn der Teufel säße mit am Tisch!
So wurde es Sonntagabend.
Sie wissen nun, wie viel ich noch von den übersinnlichen Erscheinungen glaubte, mit denen ich im Lauf der Jahre in Berührung gekommen war.
Aber das Merkwürdige war, dass ich mich trotzdem nicht dazu entschließen konnte, Papier und Bleistift heute Abend liegen zu lassen.
Es wurde sieben Uhr, halb acht, und wieder, wie ein paar Abende zuvor, überfiel mich das Gefühl, dass durch eine Kraft auf mich eingewirkt wurde.
Manchmal musste ich seufzen, so drückend wurde der Einfluss.
Und mein Gefühl sagte mir unwiderlegbar, dass es Vater war, der mich seine Nähe fühlen ließ.
Es war nun kurz vor acht.
Stets heftiger wurde der Krampf in meinem rechten Arm.
Es schlug acht Uhr, als ich ohne weiter nachzudenken Papier und Bleistift ergriff und meine Hand frei ließ.
„Du bist mir schon einer, Theo“, schrieb Vater.
„Warum hast du so aufgeregt angefangen, in diesen Büchern zu lesen?
Findest du es so merkwürdig, dass diese Bücher, die von kirchlicher Seite stammten, heftig über diese Phänomene herziehen?
Nun ist das Gift in dir noch größer geworden und es wird dir überaus schwer fallen, noch etwas zu glauben.
Dennoch, und ich wiederhole es dir, musst du mir einige deiner Abende geben.
Jetzt predige ich noch tauben Ohren, aber später – ich weiß das – wirst du alles verstehen und dann werden meine heutigen Worte dir helfen.
Du wirst mir deine Zeit nicht verwehren, schließlich liebst du deinen Vater, und was auch immer dein Verstand und deine Bücher sagen, dein Gefühl, deine Intuition sagen dir, dass ich es bin, der hier schreibt, und nicht du und dein Unterbewusstsein.
Ich werde dir so viel erzählen, dass jeder, der es lesen sollte, fühlt, dass diese Weisheit nie und nimmer aus dir selbst kommen kann.
Du hättest diese Bücher liegen lassen sollen, mein Junge.“
„Und du, hast du nicht selbst Tag und Nacht gelesen?“, durchfuhr es mich.
Sofort reagierte mein Vater.
„Aber diese Art von Büchern habe ich nicht gelesen.
Du bist noch jung und folglich ist es dir noch nicht gegeben, einen Unterschied zu sehen.
Du hast Bücher gelesen, die von kirchlicher Seite stammten, und die Kirchen bezeichnen unseren Kontakt als Teufelswerk.
Wir, die Jene Seite repräsentieren und ins Jenseits sehen, wir geben ein völlig anderes Bild von Gott und Seinen heiligen Gesetzen als sie.
Sie zählen sich und ihre Gläubigen zu den Auserwählten Gottes, aber wir predigen, dass Gott alle Seine Kinder lieb hat und nicht eines – nicht eines, Theo! – durch die Verdammnis verlorengehen lässt.
So gibt es unzählige „Wahrheiten“, welche die Kirchen ihren Gläubigen vorhalten und die wir angreifen und umstürzen müssen.
Ihre Lehren geben den Kirchen Macht über die Gläubigen; kannst du auch nur einen Moment annehmen, dass die Vertreter der Kirchen diese Lehren preisgeben werden?
Nein, mein Junge, sie werden an ihnen festhalten und sie höher stellen als alles, was wir, die in Gottes Himmeln leben, dem irdischen Menschen an Wahrheit bringen, auch wenn diese Wahrheit liebevoller, gerechter und wirklicher ist.
Sie würden ihre Macht über die Gläubigen verlieren, die Kirchen, und daher verbieten sie den Kontakt mit unserer Seite, ihre Wortführer lehnen die Mittel ab, die diesen Kontakt ermöglichen, und bezeichnen unsere Offenbarungen als teuflisch!
Das Buch, mit dem du dich heute beschäftigt hast und das den Standpunkt eines Gelehrten wiedergibt, stempelt dich auch schon zu einem Opfer der Suggestion, der Fantasie und des Betrugs.
Aber bedenke Folgendes, Theo, auch die Wissenschaft ist noch nicht so weit, ihre ablehnende Haltung gegenüber okkulten Phänomenen aufzugeben, aber einst, mein Junge, wird auch sie sich ernsthaft und ohne Vorurteile mit ihrer Erforschung beschäftigen, wie es derzeit bereits viele große Gelehrte taten, und ihre Realität einsehen müssen.
Vor den Beweisen, die Jene Seite liefern wird, wenn die Zeit dafür reif ist, wird dann niemand mehr die Augen verschließen können, die Theologen ebenso wenig wie die Gelehrten.
Leider hast du jedoch nun deinen Geist mit den Meinungen aus diesen uns feindlichen Lagern vergiftet und wird es dir schwerer denn je fallen, an die Wahrheit der Phänomene zu glauben.
Dennoch mache ich mir keine ernsten Sorgen um dich, denn einst wirst auch du glauben lernen und dein Haupt neigen.
Angelica ist es, die mir diese glücklichen Bilder gibt.“
Mit diesem letzten Satz antwortete Vater mir prompt auf einen Gedanken, der mich blitzartig durchfuhr: Wie er dies alles wissen und so sicher sagen konnte.
„Die Verbindung zwischen Angelica und mir ist wundervoll“, schrieb mein Vater weiter.
„Schon während meines Lebens auf der Erde war dies der Fall.
Ich lebte damals in zwei Welten, mein Körper war auf der Erde, mein Geist verweilte jedoch in Angelicas Welt.
Sie, die meine Seele ist, sprach zu mir und sandte die Worte durch meinen Mund, sodass ihr, der Doktor und du, zuhören konntet.
Ich war emporgezogen, wie es heißt.
Du lebst nicht emporgezogen, während du schreibst; du empfängst, aber auch bei dir geht alles zuerst durch dich hindurch, sodass du vorher weißt, was auf das Papier kommt.
Wie kannst du auch nur einen Moment glauben, dass du es selbst bist, der dies alles schreibt, oder dass es das Werk eines Spottgeistes sei.
Was hältst du denn hiervon?
Als ich zwei Tage vor meinem Hinübergehen zu dem Doktor ausführlich über das irdische Wissen und die Intuition und über Gottes großartige Gesetze gesprochen hatte, ließt ihr mich erschöpft zurück; ich schlief sofort ein.
Dennoch hätte ich dir wiedergeben können, was der Doktor im Flur zu dir sagte.
Er fand alles, was ich gesagt hatte, äußerst merkwürdig, konnte darin jedoch nichts anderes als das Fantasieren eines Sterbenden sehen.
Ja, darüber wunderst du dich nun, jedoch es ist ganz einfach.
Angelica folgte euch und sie war es, die mir das Urteil des Doktors überbrachte.
Verstehst du, das ist nun geistige Verbindung.
Auf diese Weise ist es mir jetzt möglich, sogar deine geheimsten Gedanken oder die Fragen, die du stellst, aufzufangen.“
„Was bin ich für ein Esel“, durchfuhr es mich.
„Wie konnte ich noch zweifeln.
Hier war Vater, er schrieb, er schöpfte direkt aus der Weisheit von Jener Seite – und meine Bücher ... sie wussten nichts davon, sie wollten die Wirklichkeit einfach nicht sehen, ignorierten und verhöhnten die Phänomene und hielten lieber unbesehen an ihren kleinen, unlogischen, verwirrten Begriffen fest.“
„Du bist kein Esel“, schrieb Vater nun.
„Ich nehme es dir nicht übel, dass du gezweifelt hast.
Glaube aber nicht, dass sich dein Zweifel nun plötzlich aufgelöst hat.
So einfach verbannst du diese Gefühle nicht (aus dir).
Du wirst dir mit Mühe und Kampf die ewigen Wahrheiten zu eigen machen müssen.
Ich werde dir jedoch helfen, oder besser gesagt, Angelica wird das tun, denn sie ist eine Meisterin auf dieser Seite.
Mehrere aufeinander folgende Leben lang war sie auf der Erde ein Instrument – und ein gutes, Theo – und stand mit den Meistern in Verbindung.
Sie diente und konnte sich unterdessen selbst entwickeln.
Denke nur einmal an die Weisheit, die sie uns als Meister Johannes durchgab, und dann an die, welche sie mir schenkte, als ich auf meinem Krankenlager war.“
„Du nanntest mich immer „Jack“, Vater, und den Doktor „Kollege“; warum hast du das gemacht?“
„In einem füheren Leben auf der Erde war ich Arzt, Theo.
Jetzt lach nicht, ich spreche die heilige Wahrheit aus.
In jenem Leben lernte ich dich kennen, wir wurden Freunde.
Du hießest damals Jack.
Verstehst du nun, warum ich in diesem Leben den Wunsch hegte, Arzt zu werden?
Aber es sollte nicht sein, denn ich war hier, um wiedergutzumachen.“
„Aber Vater, wenn das so ist, wo ist dann dieses Wissen geblieben, das du als Arzt damals besessen hast?“
„Angelica sagt, dass die Seele bei ihrer Geburt auf der Erde das neue Leben erleben muss und sich die Vergangenheit aus diesem Grund auflöst.
Wenn wir in der Mutter aufwachen und während der Zeit, in der wir zum Kind heranwachsen, versinkt die Vergangenheit in uns und an ihre Stelle tritt das neue Leben mit seinen neuen Gesetzen.
Es gehört zwar weiter zu unserem Bewusstsein, ist dann jedoch Gefühl geworden.“
„Du warst also Arzt ... und wir waren damals Freunde“, überlegte ich, und fast sprach ich es laut aus.
„Wenn es so ist, ist es großartig, Vater.“
Hier in diesem Moment musste ich an das denken, was Vater während seiner Krankheit einmal über eine Idee von mir sagte, die ich seiner Meinung nach aufgeben sollte.
Ich wollte herausfinden, erklärte er damals, was die Seele eigentlich in dem Augenblick erlebte, in dem der Körper zerrissen wurde.
So ungefähr war es mir in Erinnerung geblieben; was hatte er mit jenen Worten gemeint?
Fantasierte er damals?
Abermals zeigte sich mir, wie einfach es für einen Geist ist, Gedanken zu übernehmen, denn sofort ging Vater auf meine Frage ein.
„Nein, Theo, auch damals fantasierte ich nicht.
Es ist, wie ich sagte.
Angelica hat mir die Bilder gezeigt, bereits in früheren Inkarnationen versuchtest du, herauszufinden, was die Seele erfährt, wenn sie plötzlich, beispielsweise durch einen Unfall, aus dem Körper gerissen wird.
Es scheint sonderbar, eine derartige Manie zu besitzen, aber hier in den Sphären des Lichts lacht man nicht darüber.
Sie wissen, dass wir Menschen immer den Gefühlen folgen werden, die unser Leben und unser gesamtes Wesen beanspruchen.
Der Mensch sollte jedoch wissen, warum er in der einen oder anderen Richtung sucht.
Ist es wegen des Studiums, wie es bei dir der Fall war, oder aber aus Sensationslust?
Im letzten Fall gewinnt der Mensch geistig nichts, sondern steht in seiner Entwicklung still.
Ich nenne dir als Beispiel eine Gruppe von Menschen, die sich ebenfalls mit deinem Problem beschäftigt, nämlich die Erfinder, die jeden Tag ihr Leben aufs Spiel setzen, um der Menschheit etwas zu schenken.
Sie bereiten sich eigentlich stets auf ihren Tod vor.
Auch in ihnen kommen dann Fragen auf wie die, was mit ihnen geschähe, wenn die Erfindung, an der sie arbeiten, ihnen einmal zum Verhängnis werden würde.
Wohin reist dann ihr Seelenleben, wollen sie wissen.
Lebt nun die Sehnsucht, dies zu wissen, tief in einem Menschen, kehrt sie immer und immer wieder in ihn zurück, sodass sie ein Teil des Menschen wird, dann ruft sie Gesetze wach, das heißt, man wird an irgendeinem Tag, in irgendeinem Leben vor der Erfüllung dieser Sehnsucht stehen, man erlebt dann das Zerreißen des Körpers und das schlagartige Freikommen der Seele; der Mensch ist dann selbst Gesetz geworden.
Du suchst noch, Theo.
Erzähle mir mal, Theo, willst du nun noch behaupten, dass dies alles aus dir selbst kommt?
Weißt du etwas von diesen Gesetzen?
Ich erzähle dir keinen Unsinn, nimm daher meine Worte an.
Was es dir bringt?
Das, was es mir gebracht hat: Erwachen und himmlisches Glück!
Ich danke Angelica, dass sie mir einst die Frau auf meinen Weg sandte, die mir die Bücher brachte, durch die mir die Augen geöffnet wurden.
Ich habe sie hier getroffen, Theo, wenn es dich interessiert, denn auch ihre Zeit auf Erden war vorbei.
Hätte ich nicht lesen wollen und nicht darum gebeten, ja gefleht, geöffnet zu werden, dann hätte Angelica mich nicht erreichen können.
Nun trat ich jedoch vollkommen vorbereitet ins Ewige Leben ein.
Dies war eine Gnade, erkenne ich nun, so groß, dass ich keine Worte habe, um meine Dankbarkeit zu äußern.
Angelica wartete schon sehr lange auf mich.
Als sie den Kontakt zu mir bekam, weinte sie wie ein Kind vor lauter Glück.
Und ist das so unglaublich für einen Geist?
Ist es so seltsam, dass sie weinen können, wahrhaftig weinen, vor Ergriffenheit und aus Dankbarkeit weinen müssen, weil Gott so gut ist?
Im Ewigen Leben werden wir wie kleine Kinder, Theo.
Das ist nicht seltsam oder einfältig.
Sagte Christus nicht schon: „Wer wie das Kind ist, ist der Größte im Reich der Himmel“?
Das Glück, das mich bei meinem Eintreten hier erwartete ...
Ich gönne es dir so, mein Junge.
Angelica, die hier neben mir ist, sagt: „Theo schafft es schon, auch wenn er noch ein Zweifler ist, er ist auch lieb!“
Sie liebt dich, Theo, sehr lieben wir dich, mein vertrauter, vertrauter Junge.
Und nun gehe ich.
Bis nächste Woche Sonntag, um acht Uhr.
Auf Wiedersehen, mein Theo.“
Hier blieb meine Hand liegen; heiße Tränen rollten über meine Wangen.
Ich weinte mich leer, so hatte Vater mich gerührt.
Das beglückende Gefühl, das in mich kam, als Vater die letzten Sätze schrieb – ein warmes, reiches Gefühl, das Vater und Angelica in mich legten –, überwältigte mich.
Ich war nun wie das Kind, von dem Vater gesprochen hatte.
Klein fühlte ich mich und sicher geborgen in ihrer Liebe.
In meinem Herzen war jetzt kein Platz für bedrückenden Zweifel, in ihm wohnten nur Glauben, Fröhlichkeit und Demut.
Ich blieb nicht lange das Kind – im grellen Licht des neuen Tages verlor meine Fröhlichkeit ihren Glanz und wiederum reckte der Zweifel seinen grausamen Kopf in die Höhe.
Ich litt unter diesem Zweifel und unternahm alles, um ihn zu bekämpfen, ihn aus mir zu verbannen, aber er stach wie mit tausend Stacheln in mein Herzen.
Ich wollte Vater und Angelica keinen Kummer bereiten, ich wollte an ihre Anwesenheit, an ihre Worte glauben, aber mein Zweifel hinderte mich daran.
Tief unglücklich fühlte ich mich in jenen Tagen und bittere Tränen habe ich geweint.
Als ich eines Tages den Arzt auf der Straße traf und er mich in spottendem Ton fragte, ob mein Vater bereits zurückgekommen sei, schüttelte ich verneinend den Kopf.
Beschämt entfernte ich mich schnell.
Vor mir sah ich plötzlich Vaters liebes Gesicht, es schaute betrübt und enttäuscht.
Ich hatte das Gefühl, als hätte ich ihn und Angelica verraten.
Am nächsten Sonntagabend sprach Vater mit keinem Wort über die Vorfälle der letzten Woche.
Er überraschte mich mit der folgenden Frage: „Zeichne bitte für mich ein Beil, Theo, ein normales Beil, wie wir es im Geschäft verkaufen, ein paar einfache Linien sind genug.“
„Ein Beil?“, fragte ich ganz erstaunt, nicht verstehend, was er damit wollte.
„Warte, ich werde dir helfen“, fuhr Vater fort und mit ein paar schnellen Bleistiftstrichen kam ein Beil aufs Papier.
„Wolltest du diese Zeichnung machen, Theo?
Gab es einen einzigen Gedanken in dir, dies zu tun?
Nun, sag schon, Ja oder Nein?“
„Nein.“
„Ich wollte es, nicht wahr?
Ja oder Nein?“
„Ja“, bestätigte ich und zuckte mit den Achseln.
Was wollte Vater nur?
„Du wirst dich noch mehr wundern, wenn du weißt, was ich jetzt will, dass du es zeichnest.
Einen Strick und einen Menschen, der sich an diesem Strick aufgehängt hat!“
„Ja, aber was für ein Unsinn ist das nun, Vater?“, entfuhr es mir fast verärgert.
„Wozu soll das nützlich sein, oder hältst du mich zum Narren?
Bist du noch da – Vater?“
„Ja, mein Junge, sei ruhig, gleich wirst du wissen, was ich damit beabsichtige.
Zeichne das jetzt mal, es muss nicht schln sein, wenn es nur ein bisschen ähnlich ist.“
Wieder zeichnete meine Hand, nun den Selbstmörder am Strick, wie mein Vater es verlangt hatte.
Neugierig fragte ich Vater sofort nach dem Sinn.
„Verstehst du es noch immer nicht, Theo?
Hier ist nun der Beweis, von dem ich vor meinem Hinübergehen sprach, weißt du noch?
Du dachtest nicht im Entferntesten an ein Beil oder einen Selbstmörder.
Aber ich dachte daran, ich wollte, dass du es zeichnetest.
Kannst du jetzt noch behaupten, dass alles, was hier niedergeschrieben wird, nur eigene Gedanken sind?
Gehe nun zum Doktor und bitte ihn um den versiegelten Umschlag, du wirst darin eine ähnliche Zeichnung finden.
Warum ich damals gerade das zeichnete?
Hast du denn den Selbstmörder vergessen, mit dem wir auf unseren Séancen sprachen?
Denke gut über all dies nach, es steckt ein guter Beweis darin, wenn du ihn sehen willst.
Nun muss ich aufhören, bis nächste Woche um dieselbe Zeit.
Auf Wiedersehen, mein Theo.
Auch Angelica grüßt dich.
– Dein Vater.“
Vaters schnelles Aufhören überraschte mich, ich muss ehrlich zugeben, dass ich noch gerne weitergemacht hätte.
Ich stand nicht wie sonst sofort auf, sondern ließ meine Hand liegen, darüber nachdenkend, was Vater alles gesagt hatte.
Plötzlich setzte sich meine Hand wieder in Bewegung, machte drehende Bewegungen und schrieb dann Folgendes:
„So, hässliche Rotznase, musst du nun auch noch spuken?
Mach schon, dass du ins Bett kommst!“
„Wer bist du“, fragte ich.
Als Antwort wurde gegeben:
„Piet Hein, Piet Hein natürlich.
Wir sind alte Bekannte.
Ist dein Vater nicht da?
Wo ist dieser alte Eisenbohrer?
Ich dachte, dass ihr immer zusammen wärt.
Sieh mal einer an, bist du genauso groß geworden?
Ein strammer Bursche bist du, das muss ich sagen.
Aber meinetwegen kannst du zur Verd... fahren.“
Ich warf den Bleistift hin und lief aus dem Haus.
Ich wollte unter Menschen sein und alles vergessen.
Nicht mehr nachdenken und grübeln.
Als ich einige Stunden später wieder nach Hause kam, war ich tatsächlich etwas ruhiger.
Ich schlief ein, ohne noch über irgendetwas nachzudenken.
Am nächsten Tag gewann die Neugier auf den Brief, den Vater vor seinem Tod geschrieben und dem Doktor in Verwahrung gegeben hatte, die Oberhand.
Ein winziges Lachen umspielte seine Lippen, als ich ihn nach dem Brief fragte.
Als ich ihm erzählte, was am Abend zuvor geschehen war, konnte er es nicht lassen, spöttisch mit den Achseln zu zucken.
„Ich habe so meine eigene Meinung“, bemerkte er, „aber lass uns den Brief einmal öffnen.“
Aus dem versiegelten Umschlag kam ein dünnes Blatt Papier, auf dem ein Beil abgebildet war und darunter ein Mann, der an einem Strick hing!
Der Arzt hatte sein Urteil fertig.
„Siehst du, Theo, das scheint nun etwas ganz besonders und verblüffend.
Aber das ist es nicht.
Für mich ist dies überhaupt kein Beweis.
Denn: Du wusstes, genau wie dein Vater, von der Existenz dieses Selbstmörders.
Der wissenschaftliche Standpunkt muss somit lauten: Als dein Vater dies zeichnete, übernahmst du es auf telepathischem Weg von ihm.
Und ...“
„Aber Herr Doktor“, fiel ich ihm ins Wort.
„Ich wusste doch gar nicht, dass Vater dies zeichnete!“
„Gut, aber das war nicht notwendig, du wusstest von der Existenz dieses Selbstmörders.
Dein Vater zeichnete ihn auf dieses Papier und gleichzeitig – denn die telepathische Übertragung funktioniert unfehlbar – übernahmst du seine Gedanken.
Und diese Gedanken, diese Bilder sind es nun, die gestern Abend plötzlich wieder bewusst in dich kamen, woraufhin deine Hand sie willig aufzeichnete.
Oh, Theo, fantastische Beispiele könnte ich dir darüber geben, wie stark die telepathische Übertragung vorgeht.
Dazu gehören Beispiele, die weitaus überzeugender sind als das, was dir geschah.
Nein, nimm ruhig von mir an, dass du deine eigenen Gedanken niederschriebst!“
Nun stand ich wieder da.
Hier in der kühlen, hellen Arztpraxis, konfrontiert mit der sachlichen, sicheren Stimme des Arztes, verstand ich nicht, wie ich mich je diesem Unsinn hatte hingeben können.
Ich fühlte, dass ich mich lächerlich machte.
Wütend auf mich selbst zeriss ich die zwei Zettelchen.
„Du hast Recht, Theo, zerreiß diesen Schund ruhig, es hat doch keine Bedeutung.
Und wenn ich dir einen Rat geben darf, suche nicht zu weit außerhalb deines eigenen Lebens.
Du siehst schlecht aus, bleich, schlapp.
Befreie dich von all diesen Dingen und geh in die Natur, zieh los.
Du bist noch so jung, genieße doch das Leben!“
Er verschrieb mir eine Medizin und ich ging mit der festen Absicht zu seiner Tür hinaus, seinen Rat zu befolgen und mich fernzuhalten von all diesen Problemen, die doch zu nichts führten.
Dazu war ich um des Andenkens meines Vaters willen verpflichtet.
Auch in diesem Punkt stimmte ich dem Doktor zu, sein Leben war mir zu schön und zu heilig, als dass ich es besudeln durfte.
Monate vergingen, in denen ich viel in die Natur ging, viele Stunden im großen Park, an den Häfen und Teichen verweilte und lange Wanderungen durch die Dörfer der ländlichen Umgebung der Stadt unternahm.
In jener Zeit kam ich zur Ruhe, ich tankte Gesundheit und aller Verdruss und alle Spannung fielen von mir ab.
Diese Monate sind für mich in vielerlei Hinsicht sehr wichtig gewesen.
Ich kam zum Nachdenken.
In jener Zeit konnte ich einmal Abstand von den Problemen nehmen, die mich so lange bedrückt hatten, und dadurch verloren sie viel von ihrem Schrecken.
Allmählich begann ich, viele Dinge in einem anderen Licht zu sehen.
Da ich nicht mehr so dicht davor stand, war ich besser in der Lage, den Ereignissen ihren wahren Wert beizumessen.
Alles vollzog ich in Gedanken nach, unsere Sitzungen mit den Lektionen von Meister Johannes, die unbeholfen übermittelte, oft gemeine Sprache der Spottgeister, Vaters lange Gespräche, sein Krankenlager, seinen Kontakt mit Angelica, das Glück, die Weisheit, die er ihr verdankte, seine Vorhersagen, die sich eine nach der anderen erfüllten, den Hergang des Beweises, den er hatte geben wollen und an den weder der Arzt noch ich hatten glauben können.
Nein, ich besiegte meinen Zweifel nicht vollständig, lernte in diesen wichtigen Monaten jedoch einzusehen, dass mit der Erklärung des Arztes längst nicht alle Phänomene widerlegt werden konnten.
Während der ganzen Zeit hatte ich kein Bedürfnis gefühlt, zu schreiben, auch fehlte ein Einfluss von außen.
Eines Abends jedoch, ungefähr ein Jahr nach Vaters Tod, bekam ich wieder einen Krampf in meinem rechten Arm.
Mit gemischten Gefühlen gab ich nach und ließ meine Hand frei.
Noch bevor ein einziger Buchstabe auf dem Papier stand, wusste ich, dass Vater hier war, und mit ihm Angelica.
„Lange habe ich warten müssen, Theo, mein lieber Junge“, so begann Vater, „aber nun ist der geeignete Augenblick gekommen.
Vieles ist durch dich hindurchgegangen, vieles hast du inzwischen verarbeitet.
Noch kannst du nicht alles glauben, aber du kannst auch nicht mehr so komplett zweifeln wie damals.
Schade, sehr, sehr schade ist es, dass du den Beweis, den ich dir gab, zerrissen hast.
Für dich und den Arzt waren alles eigene Gedanken.
Es ist dein gutes Recht, so zu denken.
Aber wenn du meine Meinung hören willst, dann sage ich dir, dass du falsch denkst.
Und der Arzt mit dir.
Wusstest du, Theo, auch nur irgendetwas darüber, was ich zeichnete und in einem Umschlag wegschloss?
Nichts wusstest du darüber.
Wohl aber war dies der Fall, als ich dich das Beil und den Selbstmörder am Strick zeichnen ließ.
Ich hatte mich damals mit dir verbunden, wir waren von Gefühl zu Gefühl eins und ich inspirierte dich bewusst zum Zeichnen.
So wurden diese zwei Zeichnungen ein reiner, echter Beweis.
Aber willst du wissen, wann du aus deinem Unterbewusstsein schöpftest?
In dem Moment, da der Selbstmörder begann, durch dich zu schreiben.
Diese erste Zeile kam aus deinem Unterbewusstsein.
Kurz darauf schrieb er tatsächlich durch dich.
Ich hatte ihn aufgeweckt, indem ich über ihn sprach.
Du zogst ihn an, da du an ihn dachtest.
Gefesselt, wie er an den Ort ist, an dem er Selbstmord beging, war es ihm dennoch möglich, durch dich zu schreiben; in jener Welt gibt es keine Entfernungen.
Ich bitte dich, mich noch kurz anzuhören.
Du musst mir zuhören, auch wenn es dir nicht sofort etwas sagt und du wieder stark zweifelst.
Es ist notwendig, dass du dies alles weißt.
Du musst es nur wissen, mehr ist nicht nötig.
Wofür, kann ich dir noch nicht sagen, aber einst wirst du es wissen.
Wie alles hier, geschieht auch dies mit einer Absicht.
Wie dem auch sein, Theo, du lerntest aus den Ereignissen, sie brachten dich zum Denken.
Ich versichere dir, dass sich dieser „Beweis“ einst als nützlich für dich erweisen wird.
Dies ist das letzte Mal, dass ich durch dich schreibe.
Wenn du vollkommen akzeptieren könntest, dich ganz und gar anheimgeben könntest, brauchte dies nicht das Ende zu sein.
Alles was ich dir gab, und das sind nur Bruchteile der Wirklichkeit, muss mir nun genügen.
Dennoch ist es genug, du wirst dadurch lernen, zu denken.
Nun wirst du dein eigenes Leben erleben.
Wisse, dass ich dich liebe und dir noch immer Vater und Mutter sein möchte.
Du kannst dich immer auf mich verlassen, niemals wird unser Band brechen.
Ich bitte dich noch um Folgendes: Wirst du demnächst gut aufpassen, wenn du deine Hände in die einer anderen legst?
Wisse, was du tust, denke, ergründe, erfühle, ansonsten wirst du Schläge bekommen.
Mehr kann ich nicht sagen.
Was sollte ich dir sonst noch sagen müssen?
Mein Herz ist erfüllt von dir, voller Liebe für dich.
Angelica möchte dir auch noch etwas sagen.
Ich gehe nun fort, Theo.
Gott wird mir eine Aufgabe geben, ich werde mich ihr vollkommen widmen, alles, was ich einzusetzen habe, dafür geben, und segensreich wird mein Werk dann sein.
Gott gebe dir, dass du Ehrfurcht vor Seinen Heiligen DIngen bekommst.
Sei brav, mein lieber Junge!
Dein Vater grüßt dich.“
Kurz blieb meine Hand liegen, dann schrieb sie:
„Liebes Kind Gottes, auch ich komme und grüße dich, um dann fortzugehen.
Nun, da du im Begriff bist, in das volle Leben einzugehen, die großen Probleme möglicherweise auf dich warten, sage ich dir Folgendes:
Behalte unter allen Umständen die ernsten Worte, die dein Vater dir soeben gab.
Denke nach bei deinen Handlungen, frage dich immer, ob du Gutes tust, mit dem, was du tust.
Ich rate dir, stelle dich auf das Leben deines Vaters ein, folge seinem Leben und du wirst, wie er, Ehrfurcht vor dem Leben Gottes bekommen, du wirst dienen und geben wollen, sodass du demnächst nicht mit leeren Händen hier im ewigen Leben ankommen wirst.
Vater sagt dir: Möge Gott deine Schritte leiten und möge Er dich vor allem Niederen im Menschen beschützen.
Auf Wiedersehen, Theo.
– Angelica.“
Es ist schwierig, Ihnen die Gefühle zu beschreiben, die nach dem Abschied der beiden durch mich hindurchgingen.
Das Papier, auf das sie ihre Abschiedsworte niederschrieben, las ich wieder und wieder, es bekam für mich heilige Bedeutung.
„Stelle dich auf das Leben deines Vaters ein.“
Ja, das würde ich gewiss tun, mehr noch als es in den letzten Monaten der Fall gewesen war.
Jetzt verstand ich besser denn je, was ich noch verändern musste, wollte ich werden wie Vater, wollte ich seinen Glauben bekommen, seine Liebe und seine Ehrfurcht vor dem Wort von Jener Seite besitzen.
Erst nun verstand ich bestürzend deutlich, wie ich Vater, der mich immer wieder suchte, durch meine Zweifel von mir weggeschlagen hatte.
Und nur, indem ich auf die Stimme meines Verstands hörte, und die meines Gefühls erstickte ...
Ich sah ein langes Ringen voraus, denn selbst nun, in dieser ergreifenden und bedeutungsvollen Stunde, vernahm ich tief in mir die verhasste Stimme, die mich quälend deutlich fragte, wie ich davon so überzeugt sein konnte, dass es tatsächlich Vater gewesen war, der meine Hand schreiben ließ ...
Dann bin ich auf meine Knie gefallen und habe Gott angefleht, mich sehend zu machen.