Mein vorheriges Leben; Lyra und Lécca.

Es war eine Kraft zu mir gekommen, die mich dazu zwang, das Land zu verlassen.
Ich war auf dem Weg nach China.
Unterwegs dorthin kehrte ich bewusst in mein vorheriges Leben zurück, dass ich bereits bei Dectar gespürt hatte.
Das Leben, in dem ich Venry war, versank nun in mir und machte Platz für jenes von Vater Taiti.
Mit großer Geschwindigkeit verließ ich mein eigenes Land.
Jahr um Jahr ging ich zurück und näherte mich meinem vorherigen Leben.
Je näher ich dem Land kam, in dem ich gelebt hatte, um so klarer wurde auch dieses Bewusstsein, denn ich konnte wieder denken und fühlen wie vorher.
Es war mir jetzt bereits möglich, die Sprache zu sprechen, die ich in jenem Land gelernt hatte, denn alles, was zu diesem Bewusstsein gehörte, kehrte nun in mich zurück.
„Ja, Dectar, Vater Taiti ist zurückgekehrt und hat nun eine ganz andere Aufgabe zu erfüllen als vorher.“
Beim Fortschweben veränderte sich mein Gewand.
Was ich früher getragen hatte und zu dem Leben gehörte, war nun auch in meinem Besitz.
Dadurch lebte ich in der Realität, weil alle Geschehnisse, Gefühle und Eigenschaften, die gelernt wurden, in uns bleiben und weiterhin Teil der Seele ausmachen.
In all den Jahrhunderten hatte sich nichts geändert, nur in mir selbst, was nun das Gefühl, mein Streben nach dem Guten bedeutete.
In jenem Leben ging ich unter.
Das, was ich nun erlebte, fand ich wundersam.
Auf diese Weise war es mir möglich, viele Leben wieder zu betrachten.
All jene Leben waren notwendig gewesen, um zu erwachen.
Erneut trug ich das Gewand eines Oberpriesters.
Schon bald erreichte ich die mir so bekannte Umgebung.
Auf einem hohen Berg sah ich meinen Tempel.
Ich befand mich in einer wunderschönen Umgebung, von Bergen umringt.
Als Vater Taiti war ich das Oberhaupt, und meine Macht war enorm.
Nun jedoch war ich der Schüler der Isis, doch ich lebte in beiden Leben, von denen dieses Leben dominierte.
Sofort bei der Ankunft stieg ich in die unterirdischen Gewölbe und Gänge hinab und besuchte die Orte, an denen kasteit, gefoltert und gehängt wurde und wo ich meinen Feind durch den Scheiterhaufen vernichtet hatte.
Ich sah erneut all diese Geschehnisse vor mir und wo jene untergingen, die ihr Leben und die Priesterschaft verflucht hatten.
Auf meinen Befehl geschah das alles.
All die schrecklichen Geschehnisse lebten erneut vor mir, und ich sah die Priester und Priesterinnen von damals.
Alle waren hier gestorben und nun irgendwo auf der Erde, oder auf dieser Seite, um dennoch zur Erde zurückkehren zu müssen und für das wieder gut zu machen, was sie verbrochen hatten.
Mein Feind war ein Hohepriester, und er wollte meine Macht besitzen.
Doch seine allerletzte Tat brachte ihn auf den Scheiterhaufen.
Er stahl mir meine Liebe und versuchte, sie durch Mord zu erlangen, doch durch meine Gaben und mein Wissen um die magischen Gesetze blieb ich sein Meister.
Neben mir sah ich Lyra, ihr war ich bereits auf der Erde wieder begegnet.
Doch wo lebte Lyra?
Wo war sie in diesem Augenblick?
Sie sollte doch Priesterin werden.
Auf dem Scheiterhaufen sah ich einen Menschen, der in den Tod ging.
Lyra und ich folgten diesem abscheulichen Vorgang und ergötzten uns an diesem brutalen Spiel von Leben und Tod.
Er, der in den Tod ging, hatte bekommen, was durch ihn vielen anderen widerfahren war.
Wir hörten ihn jammern und seine Schmerzensschreie ausstoßen.
Sogar meine eigenen Worte, die ich zu Lyra gesprochen hatte, hallten mir entgegen.
Auch mein ganzer Hass und die dazu aufrichtigen Gefühle kehrten in mich zurück.
Unsere Herzen schlugen vor Freude, als er seinen letzten Atem aushauchte.
Die Tänzerinnen, in priesterlichen Gewändern gekleidet, führten einen Lebenstanz auf.
Wir erlebten das Fest der Vernichtung und die abstoßende Ausstrahlung menschlicher Gefühle, und auch das Sterben auf der Erde und das Eintreten in das nächste Leben.
In dem Leben, in dem ich jetzt lebte, ging die Seele weiter, und sie würde sich für ein neues Leben bereit machen.
Dann lernte die Seele andere Eltern kennen, und sie erlebte erneut das Geborenwerden und Sterben auf der Erde.
Auch ich war zurückgekehrt, doch mit mir all mein Hass und der Meuchelmörder in einem geistigen Kleid, der Kenner der magischen Gesetze.
In mir lebte das wahre Bewusstsein, doch es waren Gefühle der Wolllust, der Macht und des tierhaften Erlebens.
In diesem Bewusstsein hatte ich ihn in den Tod gejagt, doch dadurch erwachte meine Seele.
Aus diesem unmenschlichen Vorgang erwachte die dienende Liebe, eine Liebe, die immer währt, die niemals nachlässt, sondern nur stärker und noch größer wird.
Nun erlebte ich, dass jede falsche Tat dennoch das höhere Gefühl in sich birgt und die Seele dadurch zum Höheren führt.
Jetzt, da ich das alles wahrnahm, dachte ich an die Worte, die meine Mutter zu mir gesprochen hatte.
„Wenn die Stimme deines Herzens dir sagt, du sollst sinken, so sinke, doch in der Liebe musst du aufsteigen, steige auf, und musst du die Liebe kennenlernen, so gehe hinein.“
Hier hatte ich das alles bereits erlebt, und ihre Worte waren mir klar.
In dem Leben dort vor mir, einem Leben der Macht, des Aufwärtsgehens und des Sinkens, war meine Seele zu Bewusstsein gekommen.
Hier hatte ich die Liebe erfahren, hier war Lyras inneres Leben zur vollen Entfaltung gekommen und in uns kam die Sicherheit eines großen Glücks auf der Erde und auf dieser Seite.
In einem tierischen Bewusstsein war diese Liebe erwacht, eine Liebe, die Wolllust hieß, aber in unseren Seelen entbrannte und sie in Feuer und Flamme setzte.
Dann ging ich weiter und betrat die Kerker, in denen die Priester und Priesterinnen lebten.
In einer dieser Zellen lebte Dectar.
Als Schüler war er zu mir gekommen, doch als Meister endete sein irdisches Leben.
Ein grauenhaftes Ende hatte er erlebt.
Nun lernte ich sein tiefes Inneres kennen.
In Dectar waren nun viele Leben bewusst, doch von diesem Leben spürte er eigentlich nichts.
Die in diesem Leben begangenen Sünden und Fehler hatte er in einem höheren Alter wieder gebüßt.
Dadurch begriff ich jetzt, dass er die Rechnung beglichen hatte.
Doch die anderen Leben kamen einzeln bewusst in ihn zurück, und all jene Geschehnisse störten ihn, und er musste sie überwinden.
Einer entsetzlichen Kasteiung hatte er sich selbst unterzogen, auch davon hatte er mir noch nichts erzählt.
Aus diesem Leben fühlte er ausschließlich die Liebe und das Gefühl der Angst, seinem Leben ein Ende zu setzen.
Das Gefühl, das die Seele vorantrieb, höher zu gehen und das Liebe war, dieses Gefühl blieb und wurde durch all jene Leben hindurch stärker.
Wenn dieses Gefühl, das sich als Sehnsucht spüren ließ, jedoch Liebe bedeutete, einschlief, sank die Seele zurück in das allererste Stadium, um dann niemals mehr bewusst zu werden.
Doch es war nicht möglich, denn dafür lebte man auf der Erde und war Teil des Unendlichen.
All die Leben dienten dazu, ein höheres Bewusstsein zu erreichen, um einst das zu erleben, was in Harmonie mit der Natur wäre und mit dem, aus dem wir waren.
In dieser Zelle lebte Dectar.
Jetzt, da ich an ihn dachte, fing ich andere Gefühle auf.
Ich durfte seinen Namen, den er in diesem Leben getragen hatte, nicht aussprechen.
Und davor schreckte ich zurück, denn ich könnte Dectars vorheriges Leben in ihm wecken, und er würde erneut in all dem Elend übergehen.
In seinem Leben auf Isis wäre das für ihn verhängnisvoll.
„Der Klang seines Namens“, so hörte ich zu mir sagen, weshalb ich begriff, dass man mir auch hier folgte, „vernichtet seine Ruhe.“
Ich akzeptierte das sofort.
Was ich sah, und was auch Dectar in diesem Leben erlebt hatte, war das Leid und der Schmerz vieler Menschen; das hatte er hier ganz alleine tragen müssen.
Seine gesamte Persönlichkeit und sein priesterlicher Name waren mit ihm in den Tod gegangen.
„Lass das ruhen, Venry, wecke es nicht auf, rühre das, wofür gelitten wurde, wofür er Folterungen erfuhr und wofür Herzen gebrochen wurden, nicht an.
Lass das unwiderruflich schlafen.“
Es ist doch wundervoll, so dachte ich, dass ich auch hier die Stimme so deutlich in mir sprechen höre, und dass Dectars Leben anderen bekannt ist.
Erneut hörte ich zu mir sprechen: „Wenn alles stirbt, sich auflöst und in Vergessenheit gerät, so dennoch nicht ein Name, der mit so vielen tiefen Geschehnissen verbunden ist.
Darauf hat die Seele gehört.
Er behält über Jahrhunderte hinweg seine Kraft, und einmal zu Bewusstsein gekommen, zieht er, zumindest für Begabte, alle Geschehnisse wieder zu sich zurück, sodass sogar die ganze Persönlichkeit wieder bewusst wird.
Der Klang bleibt am Leben, und wenn etwas die Seele aufweckt, so ist es der Name, der das Leben und die Persönlichkeit vertritt.“
Nun folgten andere Gedanken, auf die ich mich einstellte.
Dectar liebte, und seine Liebe war in diesem Leben Lécca.
Er empfand diese Liebe auch jetzt.
Doch wo ist Lécca?
„Wo bist du, Priesterin, die meinen Freund kennt und seine Liebe spürt?
Die Liebe, die zu ihm kommt, ist erwacht, lebt und wird ihm zugesandt und gehört zur bewussten Sehnsucht.
Dectar ist auf Erden, hier war er eins mit dir.
Lécca, wo bist du?
Auch du musst am Leben sein, unter all den Millionen von Menschen gibt es nur einen einzigen, der seine Zwillingsseele berührt.
Dectar sagt, dass du lebst; er sieht dich auf der Erde, und deine Liebe kommt in ihn.
Die Liebe ist die seiner Seele.
Die magischen Gesetze werden dich zu mir bringen, und ich werde erfahren, wo du jetzt lebst.
Nichts, hörst du, Lécca, nichts wird dich zurückhalten, du wirst zu mir kommen!“
Ich hatte mich bereits auf die Seele Léccas eingestellt, und alle Gaben aus diesem Leben taten ihre Wirkung.
Erneut rief ich sie.
„Lécca, ich rufe dich.
Meine ersten Versuche tun ihre Wirkung, ich rufe dich, Lécca, doch alsbald rufe ich dich wieder, und du wirst zu mir kommen.“
Schon jetzt wusste ich, dass Lécca auf der Erde lebte.
Dectar hatte richtig gefühlt.
Sie beide waren eins, eins im geistigen und im stofflichen Leben.
Lécca kannte die Gesetze, die Kräfte waren in ihr vorhanden und würden erwachen.
Nichts konnte sie daran hindern, obwohl sie in tiefem Schlaf war, sie musste und würde heraustreten und zu mir kommen.
Vater Taiti rief sie.
Dann ging ich weiter und in mein eigenes Zimmer.
Ich wollte in mein eigenes Leben zurückblicken und die Liebe von Lyra und unser Ende auf der Erde noch einmal erleben.
Als ich in mein Zimmer getreten war, sah ich Lyra und mich selbst.
Mein Inneres wurde von Liebe verzehrt, und ich war der Sklave meiner Sehnsüchte, doch ich fand es wunderbar.
In kniender Haltung lag ich vor ihr und sprach zu ihr.
Ich lauschte nun meiner eigenen Vergangenheit und hörte mich sagen: „Jugend und Alter sind in mir, Lyra, und du weißt, wie das möglich ist.
Wir sind beide wach und bewusst und haben die aufrichtige Liebe kennengelernt.
Aus all dem Dämonischen wurde unsere reine Liebe geboren, obwohl wir immer noch in unserer eigenen Finsternis leben.
Du weißt, dass wir auseinandergehen, doch dass wir uns auf der Erde wiedersehen werden, weil wir Zwillingsseelen sind.
Was wir getan haben, war schrecklich, es bedeutete, einen Mord nach dem anderen zu erleben, und niemand darf töten.
Wir haben getötet, Lyra, für unsere Liebe getötet und den Tanz der Vernichtung erlebt.
Um unsere Sehnsüchte zu befriedigen, gingen andere zugrunde.
Die Meister sagen mir, dass du meine Zwillingsseele bist, dass du also zu mir gehörst, doch dass wir alles wieder gut machen müssen.
Einst werden wir eine Zeit erleben, in der du für ewig bei mir bist.
Doch du gehst nun deinen eigenen Weg und ich meinen.
Dennoch sehen wir uns wieder.
Das höhere Bewusstsein, das nun in mir ist, wird meine Aufgabe in jenem anderen Leben sein.
Schon jetzt, liebe Lyra, gehe ich in jene Gesetze über, und das werden wir beide erleben.
Du kehrst zugleich mit mir wieder zurück zur Erde, und in jenem Leben werden wir uns schon sehen dürfen.
Unsere Seelen sind eins und haben Verbindung mit den Gesetzen.
Durch die Reue, die in mir ist, liebe Lyra, werde ich leben und meinen Hass besiegen.
Dieser Schmerz ist wirklich, ist ganz natürlich und aufrichtig.
In mir ist Reue und aufrichtiges Bedauern über das, was ich getan habe.
Mein Herz bricht, aber meine Mutter wird mir helfen, ich spüre ihr Gebet, sie möchte, dass ich hierin weiterlebe, und ist zugleich unser Band für das nächste Leben.
Ich werde mich selbst vernichten, Lyra, auch alle Fehler, die mich zurückhalten.
Wir müssen dienen, Lyra.
Mir obliegt es, alle Tempel, in denen das Licht verfinstert ist, zu vernichten.
Meinem Feind werde ich erneut begegnen, weil er neues Leid und neuen Schmerz verursacht, Herzen bricht, doch durch die Macht seiner Gaben.
Ich segne schon jetzt den Augenblick meiner Bewusstwerdung.
Kannst du spüren, dass nun heiliger Ernst in mir ist?
Dass ich versuchen werde, bewusst zu bleiben?
Dass wir als eine Seele erschaffen wurden?
Deine Seele ist eins mit meinem Leben, Lyra, in allem sind wir eins.
Die Meister wollen, dass ich ihnen folge.
Im nächsten Leben wird meine Aufgabe groß sein, wie meine Liebe zu dir.
Jetzt sind wir eins, Lyra, in anderen Leben werden andere dir gehören, doch ich lebe in dir, doch an ihnen musst du es wieder gut machen.
Bist du bereit für das Gift, Lyra?
Was uns erwartet, wird eine Kasteiung sein, doch das Erleben derselben ist unsere Entwicklung für dieses andere Leben.
Wisse, liebe Lyra, dass das allerletzte und tiefste Leid in dich kommt.
Doch dafür erlangen wir das höhere Bewusstsein.
Das allertiefste Leid erlegen wir uns selbst auf, aber es wird unsere Seelen erwecken und unser Einssein fördern.
Auch Dectar ist dort hineingegangen und mit ihm Lécca.
Sie waren eins, auch im Tode.
Fühlst du diese Stille?
Kannst du mir folgen, jetzt, da das Leben ein Ende nimmt?
Hast du mich so lieb, dass du bereit bist?
Ist das „Ja“ bewusst, Lyra?
Was sagst du?
Hörst du Dectar weinen?
Hörst du die schwache Stimme deiner Schwester?
Sie leben, natürlich, liebe Lyra, sie leben und müssen leben, doch dadurch wird sich ihr Bewusstsein verändern, das Bewusstsein, das inniger ist als ihr Einssein auf der Erde, und es wird das Tagebewusstsein umstrahlen.
Liebe Lyra, das tierische Leben zerfrisst unser Herz, und wir bleiben solange bewusst und eins, bis unsere Gebeine zutage treten, bis wir die nackte Realität empfangen.
Und darin sind noch mehr Schmerzen, Lyra, wisse also, was du tust.
Bist du bereit?“
* *
*
Ein Gift setzte unserem irdischen Leben ein Ende.
Ruhig nahmen wir das Gift ein.
Dann sah ich, dass wir zu unserem eigenen Grab gingen, und wir legten uns nieder.
Hand in Hand, unsere Seelen eins und verbunden.
So gingen wir in den Tod.
Unsere Körper erlebten denselben Vorgang, und dennoch waren wir noch so weit voneinander entfernt.
Langsam näherte sich der Augenblick des Sterbens, jedoch des bewussten Eintretens in jene andere Welt.
Lyra sprach nicht mehr, ihre Augen erloschen, öffneten sich jedoch wieder, und wir lebten nun in der anderen Welt.
Ein Tod durch Selbstmord, ruhig und bewusst, um geistig immer höher gehen zu können, um Sehnsüchte zu stillen, Seelenfeuer zu löschen und die mystischen und magischen Gesetze kennenzulernen, doch vor allem, um wieder gut zu machen.
Die Folgen dessen waren grauenvoll.
Dectar hörte eine Stimme in sich sprechen, als er seinem irdischen Leben ein Ende setzen wollte.
Nun begriff und kannte ich diese Stimme und die Gefühle meines besten Freundes.
„Ja, Dectar, die Würmer fraßen einst deinen Körper, aber du selbst erlebtest diesen abscheulichen Prozess, der nichts als Unbewusstsein ist und Armut bedeutete.
Auch wir, Dectar, wir beide haben es erlebt.
Mit uns Tausende, und alle haben nichts dadurch erreicht, wir erlangten ausschließlich dieses Wissen, mehr nicht.
Wir wollten geistigen Besitz, geistige Bildung und die Sehnsucht, wiedergutmachen zu wollen.
Doch auf diese Weise ist das Wiedergutmachen nicht möglich.
Wir haben den Verwesungsprozess erlebt und dennoch sehr viel gelernt, lieber Dectar, denn zum zweiten Mal weigert sich deine Seele, du kannst es nicht nochmals erleben.“
Als ich dem gefolgt war, kehrte ich zurück in Dectars Zelle.
Die Gedanken, die nun zu mir kamen, spornten mich an, keine Zeit zu verlieren.
Erneut stellte ich mich auf Lécca ein.
„Lécca, du bist auf der Erde.
Wo immer du bist, du wirst zu mir kommen.“
Ich rief sie eine Weile und ich begann, zu sehen.
Es war mir schon jetzt möglich, ihrer Seele zu folgen.
Ich wartete eine Weile ab und fühlte mich sehr ruhig.
„Wahrlich, lieber Dectar, sie ist auf der Erde“, rief ich ihm zu, „sie lebt in einem neuen Organismus und sogar ganz in deiner Nähe.
Deine Gefühle sind rein und natürlich, lieber Dectar, deine Liebe ist echt, und sie wird zu mir kommen.“
In seiner Zelle zeichnete ich einen magischen Kreis um mich herum.
Darin sollte ich nun bleiben, weil ich die Hölle und den Teufel erweckte.
Dennoch würde Lécca zu mir kommen, denn auch in ihr lebten diese Kräfte, denn einst war sie Priesterin.
In jener Zeit verwendete ich meine Gaben für allerlei Böses und viele andere finstere Sachen, nun jedoch für das Glück zweier Seelen.
Meine Konzentration war vollkommen, ich war weiterhin auf ihre Seele eingestellt, und ich zog diese so gefährlichen Gesetze und Kräfte zu mir.
Der magische Kreis war nun mein eigener Schutz, sonst würde man mich durch die Finsternis schleudern, und ich wäre das Spielzeug der Dämonen.
Die schwarzen Kräfte waren damit verbunden, so auch die höheren, die zum Wohle der Menschheit verwendet werden konnten.
In mir war, wie ich mich mit ihnen verbinden musste.
In jenen Kräften lebten all die Wesen, doch ich selbst ging in sie über.
In diesem Leben war ich darin ein Meister, für Dectar und andere Vater Taiti, der über all seine Kinder wachte.
Die finsteren Kräfte drängten sich mir nun schon auf.
Dadurch würde die Seele, die hier Lécca hieß und diesen Namen trug, zu mir zurückkehren.
Dann rief ich sie erneut: „Lécca, du kommst!
Vater Taiti ruft, wo immer du bist, du kommst!
Trete hinaus, Lécca, tritt heraus!
Dectar ist auf der Erde, er ist dir treu und liebt dich innig.
Dectar wartet.
Tritt hinaus, Lécca!
Benutze deine Schwingen und komm zu mir!“
Inzwischen umgab ich mich mit einer Wolke der Kraft.
Aus Erfahrung wusste ich, dass meine ständige Aufmerksamkeit gefordert wurde.
Wenn meine Persönlichkeit in diese Kräfte überginge, wäre ich verloren.
Dadurch hatten viele den Tod gefunden, denn ich berührte die Gesetze der Finsternis.
Erneut rief ich Lécca und wiederholte mein Rufen geraume Zeit, ich folgte meiner Konzentration und zwang sie, herauszutreten.
Lécca war eine Priesterin und die Schwester Lyras.
Beide kannten die Gesetze, und es gab keine Macht, die sie jetzt zurückhalten konnte.
Wenn ihre Seele nicht auf der Erde lebte, so wäre auch ich machtlos.
Aber wenn die Seele in einem neuen Organismus lebte und sie zur bewussten Welt gehörte, dann käme sie zu mir und dieses Leben würde plötzlich in ihr bewusst.
Allein die Welt, in der die Seele warten musste, um geboren zu werden, konnte meine Konzentration und Verbindung unmöglich machen.
Doch Lécca lebte auf der Erde.
Diese Gedanken kamen wieder zu mir und wurden mir zugesandt.
Was folgte, verstand ich wie das Vorhergehende: „Was ist magisch, und was sind die magischen Gesetze?
Es ist das Wissen um vorige Leben, das Einssein darin und das bewusste Erfahren und Erleben darin.
Wie ist die Auswirkung?
Darauf folgt das Erwachen der Vergangenheit.
Die Seele, als Mensch, trägt all diese Kräfte in sich, denn nichts ging verloren.
Und da wir nun wissen, dass alles am Leben bleibt, auch unausgesprochene Gedanken und Gefühle Wirkung bedeuten, kann die Seele sich damit verbinden, und dieses Einssein ist das Erleben von Realität, von Gefühlen, die einst erlebt wurden.
Wenn Ihr wisst, dass all ihre Handlungen und Gefühle der Besitz aus der Vergangenheit sind, und Ihr dadurch im Tagesbewusstsein lebt und erlebt, und auch erschafft, und auch empfangt, und auch handelt, seht und hört, und dass diese Gefühle Eure ganze Persönlichkeit ausmachen, dann könnt Ihr hinnehmen, dass die Seele auch im Tagesbewusstsein in der Vergangenheit lebt.
Ist es Euch klar, dass sich Eure Seele in diesem Leben noch nichts zu eigen gemacht hat?
Dass Ihr dabei seid, zu bauen, zu erschaffen und zu dienen, und dass Ihr darin noch nichts verdient habt?
Welche sind die neuen Eigenschaften, die Ihr Euch in diesem Leben zu eigen machtet?
Sucht in Euch selbst, steigt in Euch hinab, oder „geht hinein“ und seht genau und klar, ob das so ist und Ihr werdet akzeptieren, dass Ihr und alle, die auf der Erde sind, in ihrer eigenen Vergangenheit lebt und aus dieser Vergangenheit schöpft.
Ist das unnatürlich?
Prüft zuerst nach, wer Ihr seid, und was Ihr nun geworden seid.
Hat sich darin etwas geändert?
Wer gab Euch als Kind ein erwachsenes Bewusstsein?
Könnt Ihr das empfangen?
Von woher bekommt das Junge die Eigenschaften, die eigentlich dem erwachsenen Wesen gehören?
Ist das Leben so einfach?
Ihr kennt die Gesetze, legt nun Schutz um Euch herum.
Seid Ihr euch darüber bewusst, dass auch das notwendig ist?
Ist das volle Bewusstsein wach, so spürt Ihr, dass dies Euch all dieses Wissen brachte, doch es ist die Vergangenheit, es ist das, was Ihr Euch in Euren anderen Leben zu eigen gemacht habt.
Spürt Ihr, dass dieses Leben, in dem Ihr nun seid, Euch das Wissen schenkte?
Lécca kommt, weil auch sie in ihrer eigenen Vergangenheit lebt, und weil dies ihr Tagesbewusstsein ist.
Denn Ihr sprecht und denkt und fühlt in und aus der Vergangenheit.
Es gibt also nichts als das „Jetzt“, das ist und das bleibt, es gibt keine Vergangenheit, „das Leben“ ist da, und darin seid Ihr nun bewusst.
Doch nur von dem, was Euer eigenes Leben ausmacht.“
All diese Worte waren absolut nicht meine, sie wurden mir gegeben.
Aber ich fand es wundersam.
Mir war alles klar.
Zu mir kamen nun die Gefühle des Schlafs, und dieser Schlaf gehörte zu Lécca.
Ihre Seele löste sich von ihrem stofflichen Körper, und sie würde zu mir kommen.
Durch das, was ich soeben gehört hatte, war meine Verbindung viel einfacher geworden.
Schon von Weitem sandte sie mir ihre Gedanken.
Lécca war unterwegs.
Nur noch einen kurzen Augenblick, und sie würde hier sein.
Verhüllt durch Licht und einen dichten Schleier näherte sich mir eine Erscheinung.
„Lécca?
Bist du es, Lécca?
Dectars Zwillingsseele?“
„Vater Taiti, habt Ihr mich gerufen?“
„Erkennst du mich, Lécca?“
„In meinen Träumen sehe ich Euch immer vor mir.
Oh, Vater Taiti, mein Meister, warum habt Ihr mich gerufen?
Wisst Ihr, wo ich lebe, und wo ich jetzt bin?“
„Es freut mich, Lécca, dass du mich erkennst, dass die Vergangenheit in dir bewusst ist, und dass du die Liebe empfindest, die du auch hier besaßest.“
„Oh, Vater Taiti, habt Ihr mich dafür gerufen.
Könnt Ihr mich glücklich machen?
Ich habe ihn so lieb, in mir ist alles bewusst, und ich lebe darin.
Ich habe gebetet, sehr viele Opfer gebracht, und nun empfange ich?
Wisst Ihr, wo meine Seele lebt?
Wo ist er, der mir von den Göttern gegeben wurde?
Ist es mir erlaubt, ihn zu sehen?
Oh, ich weiß es, Vater, ich werde seinen Namen nicht aussprechen, auch meiner ist tot.
Wenn ich an ihn denke, dann kommt die Stille in mich zurück.
Doch auch der Kummer und all sein Leid, das auch in mir ist.
Oh, sagt mir seinen Namen, darf ich ihn erfahren?“
„Dectar ist sein Name, und Eurer?“
„Meine Mutter nannte mich Myra.
Als Kind war mein voriger Name in mir anwesend, und ich bat meine Mutter, mir den Namen zu geben.
Doch später kam immer Kummer in mich, und sie nannte mich Myra.
Nennt mich Myra, Vater Taiti, und wo ist Dectar?
Wo ist meine Seele, und weiß er, dass ich mich nach ihm sehne?
Dass ich ihm meine Liebe sende?
Ist das Bewusstsein in ihm?
In mir ist die Liebe, und darin werde ich weiterleben.“
„Er wird zu dir kommen, Myra.
Dectar kommt, er lebt und ist bewusst, doch nur in der Liebe, alles andere muss weiterschlafen.
Ich sehe, dass du Mutter bist, Myra, aber du bist nicht glücklich.
Du bist die Schwester des Pharaos.
Ist mein Sehen klar, Myra?
Hat man deine Mutterschaft besudelt?
Die Götter wollen, dass du Dectar siehst und auch Dectars Fühlen und Sehen ist klar.
Er sagt, dass du reich bist und von hoher Geburt, und er ist ein einfacher armer Mann, Myra.“
„Hat das eine Bedeutung, Vater?“
„Das, wonach du dich sehnst, Myra, wird dir gegeben werden.“
„Wie kann ich Euch danken, Vater.
Können wir wieder erneut eins sein, Vater?“
„Ja, sicher, mein Kind.
Deine Liebe verzehrt Dectar.
Du lebst in ihm, Myra, und in der Umgebung, in der er jetzt ist.
Ich sehe auch, wie dein Leben ist, und dass kein Glück zu dir kommen kann, weil Dectar deine Seele ist.
Du wirst ihn sehen, Myra, aber du musst noch warten.
Wo wir sind, darfst du jetzt noch nicht erfahren, sonst wird dein Sehnen zu mächtig.
Dennoch wirst du mich und Dectar erkennen.
Hör zu, liebe Myra, lausche dem, was ich nun sehen darf, ich werde es dir mitteilen.
Wir beide kommen zu dir.
Ich pflücke dann eine weiße Blüte für dich im Raum, Myra, und dann erst wirst du mich erkennen als die andere Person.
Ich lebe in einem anderen Gewand, doch dann weißt du, dass Vater Taiti anwesend ist und in jenem Körper lebt.
Die Blüte ist von Dectar, von deiner Zwillingsseele, und dann wirst du deine Seele erkennen an der Person, die ich zu dir bringe.
Ist das, was ich sah und du sagtest klar, Myra?“
„Ja, Vater.“
„Zwischen diesem Leben und dem, in dem du nun bist, liegen Jahrhunderte.
Und dennoch gibt es keine Vergangenheit, Myra, auch mir wurde es klar.
Du bist nun wach und bewusst, doch die Liebe stört sich nicht an Jahrhunderten.
Ist die Liebe nicht in dir anwesend?
Dieser Traum wird die Realität zu dir bringen, Myra.
Warte ab, ich werde dich bei Hofe erkennen als Schwester des Pharaos.
Wie sonderbar das auch sein mag, wir werden die Wirklichkeit empfangen.
Bald wirst du erwachen, Myra, und du wirst wissen, wo du gewesen bist und dennoch glauben, dass es nur ein Traum war.
Doch ich bitte dich, Myra, alles zu vergessen und abzuwarten.
Unser Leben, Dectars und meins, ist in Gefahr.
Danach wirst du die „Wiese“ sehen.
Dectar sehnt sich nach der „Wiese“, und du wirst die „Wiese“ erkennen.
Dann weißt du, mein Kind, dass eine Krone kein Glück bedeutet.
Gold und Macht haben keine Bedeutung.
Das ist kein Vergleich zu dieser Liebe, diesem Glück, das ewig währt.
Die Götter wollen jedoch, dass wir dienen, aber dienen ist nur möglich, wenn wir die Seele, die zu uns gehört, lieben können.
Dectar gab sich selbst.
Hier lebte er, um zu erwachen, und du warst ihm treu und folgtest ihm.
Die Würmer zerfraßen dein Herz, die Entwicklung als Gefühl ist in deinem Besitz, jetzt kannst du alleine lieben.
Und darin leben zu dürfen, zu sehen und spüren und eins sein zu dürfen, liebe Myra, ist das allerhöchste Glück, das wir Menschen auf der Erde empfangen können.
In Dectars Seelenleben lebst du, in seinem Herzen wächst und gedeiht dein Einssein.
Wenn das in dir bewusst ist, Myra, wie weit bist du dann anderen voraus?
Hat Gold dann eine Bedeutung?
Wenn in uns die Sehnsucht und das Wissen um diesen ewigen Raum ist, wenn die Vergangenheit das Tagesbewusstsein füllt und das Schlagen deines Herzens beschleunigt, wenn seine Ausstrahlung dir Glück bringt und die „Lotusblüte“ ihre reine Kraft zu dir sendet, kann nur das Vollkommene empfunden werden, Myra, das das „Hineingehen“ in die Liebe bedeutet.
Ja, meine liebe Myra, du fragst dich, warum soll ich in dieser Leere mein Leben vollbringen?
Was hat es für einen Sinn, wenn ich mein volles Wissen und Fühlen nicht im Einssein erleben darf?
Es schmerzt dich, Myra, aber auch in mir leben diese Gefühle, doch wir müssen wieder gut machen.
Jede Sekunde ist vergeudete Zeit, jeder Tag erscheint wie ein Jahrhundert, und so geht dieses Leben vorüber.
Und nun, liebe Myra, da du nun weißt, dass deine Seele auf der Erde ist?
Wie werden nun deine Sehnsüchte sein?
Wie wirst du sein, wenn Dectar dir gegenübersteht?
Wird dann Beherrschung in dir sein?
Wie wirst du sein, liebe Myra, wenn seine Augen dich ansehen und du spürst, dass er vor dir knien wird?
Es kann nichts anderes als Dankbarkeit in dir sein, ihn sehen zu dürfen.
Wirst du unter diesem Glück nicht scheitern?
Wenn du ihn siehst, wirst du dann deine eigene Aufgabe auf der Erde nicht vergessen?
Wirst du, liebe Myra, wenn du Dectar siehst und sein heftig pochendes Herz spürst, dennoch die Selbstbeherrschung besitzen, damit dein Bruder nichts spürt?
Vergiss nicht, er ist der Pharao, und wir sind seine Diener.
Und es muss in dir sein, Myra, oder du vernichtest dich selbst und das Glück deiner Kinder.
Wird mein Kind bereit sein?“
„Ja, Vater, ich werde bereit sein und hinnehmen.
Darf ich schon jetzt Euren neuen Namen erfahren?“
„Nein, Myra, jetzt noch nicht, auch das kommt noch.
Hat Myra die Gesetze vergessen?
Nichts darfst du über uns wissen, Myra, denn die Wunder, die geschehen werden, fordern deine Beherrschung.
Ich werde sehr jung sein, sehr jung und dennoch alt.
Ich besitze Die Großen Schwingen, Myra, und der Pharao wird mich empfangen, und du wirst einen Kampf auf Leben und Tod sehen, doch wir werden siegen, denn es gibt mächtige Hilfe.
Mehr darf ich dir nicht sagen.
Doch nun müssen wir fortgehen, Myra, bevor die Sonne aufgeht, muss ich bereit sein.“
„Soll ich alles vergessen, Vater?“
„Denke an einen Traum, Myra, aber suche mich nicht und warte ab.
Geh nun, mein Kind, kehre zurück in dein Stoffkleid.“
„Wisst Ihr, wo meine Schwester Lyra ist?“
„Nein, Myra, ich bin ihr jedoch bereits begegnet.
Wo sie lebt, werde ich empfangen, und dann wird auch mein Glück vollkommen sein.
Ich grüße dich, Myra, Dectar kommt.“
Wie ein Nebel löste sie sich vor meinen Augen auf, und ich spürte, dass ich fortgehen sollte.
Hier hatte ich nichts mehr zu erleben.
Als ich mich wieder auf mein gegenwärtiges Leben einstellte, begann ich wahrzunehmen.
Ich sah, dass lediglich die Fundamente des Tempels geblieben waren.
Ich stand auf einer Ruine, in den Jahrhunderten, die vergangen waren, war das Gebäude eingestürzt.
Wie und durch was konnte ich deutlich sehen, die Götter wollten, dass das Gebäude vom Erdboden verschwand.
Eine andere Kraft wollte nun, dass ich fortging.
Was ich nun gesehen hatte, gehörte zu meiner Aufgabe.
Und wenn ich alles erlebt haben würde, könnte ich erst mit meiner Arbeit und dem Bereitmachen beginnen.
Die Vollendung und alle Geschehnisse bedeuteten Kraft und das Bewusstsein von Vater Taiti.
Da ich nun über das alles nachdachte, bekam ich wieder neue Gedanken, unter ihnen war, wie ich meinen Weg fortsetzen sollte.
Von Weitem wurden mir diese Gefühle zugesandt.
Das Wunderbare davon war, dass meine Wege geführt wurden.
Man wusste von all diesen Ereignissen, eine unfehlbare Wirkung trieb mich dahin.
Ich war nun auf dem Weg zu Isis, dort würde ich neue Wahrheiten und Geheimnisse erfahren.
Und darüber hatte meine Mutter gesprochen.
Wenn die Götter mit mir wären und das Licht in mir wäre, würde ich alles erfahren dürfen.
Und das Licht hatte ich bereits empfangen.
Deshalb beschleunigte ich meinen Weg durch den Raum und Isis entgegen.
Die Kraft meiner Schwingen und das schnelle Vorangehen geschahen durch meine eigene Konzentration.