Ich lernte den Tod kennen

Endlich betrat er meine Zelle, doch ich fand ihn sonderbar und fragte: „Ist etwas, Dectar?“
Er antwortete nicht und sah mich weiterhin einfach nur an.
Erneut fragte ich: „Ist etwas mit dem Kind?“
Dann sagte er: „Priesterschüler von Isis, wir werden fortfahren, Euch von den Gesetzen dieses Tempels zu erzählen, welche Isis groß gemacht haben.“
Ich sah ihn an und meinte, einen Geistesgestörten zu sehen.
Blitzschnell stellte ich mich auf ihn ein, aber mein Meister, Freund und Bruder war völlig für mich abgeschlossen.
Ich zitterte vor Angst und fragte: „Sag mir, Dectar, was ist los?“
Doch er tat, als wäre ich Luft, und fuhr fort.
„Ihr sollt mir zuhören und keine Fragen stellen.
Ich bin Euer Meister, und die Hohenpriester wünschen, dass Ihr mir zuhört.“
Erneut fragte ich: „Sag mir, Dectar, was ist los?
Droht Gefahr?
Sprich, und lass mich nicht im Ungewissen.“
„Ich bin Euer Meister und Lehrer, vergesst das nicht.“
Nun begriff ich, dass etwas los war.
Ein schrecklicher Einfluss kam zu mir.
Ich wollte in ihn hinabsteigen, aber er war für mich unauffindbar.
„Bist du von Sinnen, Dectar?
Bist du dabei, dich aufzulösen?“
„Ihr könnt auf diese Weise nicht denken, Priesterschüler, oder Ihr arbeitet daran, Euch selbst zu vernichten.
Ihr vergesst, dass ich Euer Meister bin.“
Das reichte aus, und ich sagte: „Ist das Euer heiliger Ernst, Dectar?
Beantwortet mir diese Frage.“
„Ich bin Euer Meister, und Ihr habt mir zu gehorchen.
Ich wünsche nicht, dass Ihr mich sucht.
Die Gesetze dieses Tempels verbieten Euch solches, und Ihr habt mir in allem zu gehorchen und den Kopf zu beugen, oder Ihr werdet die Gesetze kennenlernen.“
„Ihr Schurke, Heuchler, Besudler der wahren Liebe, geht fort, verlasst meine Zelle oder ich erwürge dich.
Verflucht seist du, gemeines Tier, Dämon, geh fort, sage ich dir oder ich vergesse mich.
Meine Macht ist groß, und ich werde dich vernichten.“
Seine Augen durchbohrten meine, aber ich spürte meinen Freund nicht mehr.
Dectar war für mich gestorben.
Ich hasste ihn und alle, die sich Meister nannten.
„Du bist ein Verräter, ein Schurke, du besudelst meine Eltern und dich selbst.
Geh fort, verlasse meine Zelle, bleibe hier nicht länger.“
Er blieb und sah mich durchdringend an, sprach jedoch kein Wort.
Er war wie die Sphinx, ihn umgab etwas Geheimnisvolles, das ich nicht durchblicken konnte.
Wie schrecklich war das, ich fühlte mich betrogen.
Ein lodernder Hass stieg nun aus meinem Inneren empor, das Blut schoss mir in den Kopf und das Herz schlug mir bis zum Hals.
Ich sprang auf und wollte ihn erwürgen, doch während des Sprungs erfasste mich ein Gefühl der Lähmung und ich sank zurück auf mein Lager.
Er stand noch immer da und sah mich an.
Sofort erholte ich mich und verfluchte ihn erneut.
Er sah mich weiterhin an.
„Was wünscht Ihr von mir, wie soll ich zu Euch sprechen?
Wie wünschen Hochwürden, angesprochen zu werden?
Heuchler“, setzte ich hinzu.
Wenn es nicht so furchtbar traurig wäre, hätte ich sein Gehabe sonderbar gefunden, doch es war sein heiliger Ernst.
Er stand da wie ein großes Rätsel.
Ich fragte abermals: „Ist etwas, Dectar?“
Keine Antwort.
Wieder überkam mich glühender Hass, glühender denn je zuvor, und ich verfluchte ihn.
Nun wurde ich sarkastisch und fragte: „Möchte der Meister nicht auf Wolken Platz nehmen?
Nicht auf jene blicken, die ihn verstümmelten?
Nicht erfahren, ob mehrere Tiere in einem einzigen Tier vorhanden sind?
Gemeiner Heuchler, Ihr Undankbarer, Vernichter von allem, von meinem Glück und meinem Leben.
Ich hasse Euch, Meister von Isis.
Wirst du gut auf dich achtgeben?
Ich werde dir Vater und Mutter sein, lieber Venry, und dir all meine Liebe schenken.
Wie kann ich den Göttern danken.
Wie habe ich gebetet für dieses Einssein.
Verflucht seist du.“
Ein eiskalter Schauder durchfuhr mich.
Erneut versuchte ich, in ihn hinabzusteigen, doch er war für mich abgeschlossen.
Das verstand ich nicht, musste es jedoch hinnehmen.
Unsere Mauer war eingestürzt, ich stand auf einem Trümmerhaufen.
Dennoch stellte ich mich wieder auf ihn ein, denn ich konnte es nicht hinnehmen.
Er war umgeben von einer Kraft, einer wundersamen Kraft, und ich glaubte, jenes Abgeschlossensein zu spüren.
Dennoch schleuderte ich all mein Sehen und Fühlen von mir, denn ich glaubte mir selbst nicht mehr.
Als ich mich etwas beruhigt hatte, hätte ich ihm alles verzeihen können, es wollte mir jedoch noch immer nicht klar werden, dass ich ihn als meinen Bruder verloren hatte.
Eine einzige Sache war mir klar, in der Konzentration war er mein Meister.
Ich hatte mich also in mir selbst getäuscht, denn ich glaubte, bereit zu sein, und dennoch konnte ich nicht in ihn hinabsteigen.
Seine Seele war verschlossen, für mich gänzlich unzugänglich.
Oder spielte er vielleicht ein Spiel?
War es ihm heiliger Ernst?
Das hinzunehmen war mir noch nicht möglich.
Ich fragte ihn abermals: „Würde sich der Meister mit mir im Raum verbinden können?“
Ich wartete auf eine Antwort, doch ich glaubte zu sterben, als er antwortete: „Wenn Euch Euer Leben lieb ist, so denkt nur an Isis und an Eure Priesterschaft.
Der Hohepriester von Isis trug mir auf, mit Euch zu ihm zu kommen:
Wollt Ihr mir folgen?“
„Wie bitte?“
„Ich wollte Euch sagen, dass Ihr auf geweihtem Boden geht und mir folgen müsst!“
Ich fand diesen Menschen abscheulich.
Für mich war er ein Rätsel, aber ich hatte meine Selbstbeherrschung wiedererlangt.
Ich sagte noch: „Ist das Eure Liebe?
Was wird mein geistiger Leiter dazu sagen?“
„Seid Ihr bereit, Priesterschüler?“
„Ja, Meister“, doch innerlich verfluchte ich ihn.
Ich wollte jedoch nicht alles zerstören und sagte: „Ich bin bereit, Meister Dectar, nie zuvor war ich wie jetzt bereit, bereit, wenn Ihr es wissen wollt, ich bin bereit.“
Er ging jedoch nicht darauf ein, und ich folgte ihm zu den Meistern.
In dieser kurzen Zeit fühlte ich mich um Jahrhunderte gealtert.
Wir betraten das Heiligtum der Meister.
Beim Oberpriester waren noch drei weitere Meister anwesend.
Dectar ging auf sie zu und sprach, sodass ich meinte, den Verstand zu verlieren: „Vater, Meister der Meister, Oberhaupt des Tempels der Isis, mein Schüler befolgt die Gesetze nicht.“
Das waren Lügen.
Dectar beschwerte sich über mich?
Er ist von Sinnen, dachte ich.
Dennoch blieb ich ruhig, fühlte mich jedoch selbst nicht mehr.
Dann stellten sich die Meister auf mich ein und ich wurde ergründet.
Ich stand da wie ein Kind, aber von meinem geistigen Leiter spürte ich nichts.
Ließ er mich hierin allein?
Mein Vater durchbohrte mich.
Dann sagte er zu mir: „Warum nehmt Ihr Eure Aufgabe nicht ernst?“
Ich gab keine Antwort.
„Ihr sollt sprechen, Priesterschüler.“
Ich sagte, jedoch durch eine andere Kraft, die plötzlich über mir, in mir und um mich herum schwebte: „Ich weiß wahrlich nicht, weshalb ich hier bin.
Ich bin mir keines Übels bewusst und gebe mein Bestes.
Ich weiß, wie mein Leben ist, und ich bin den Göttern dankbar, weil ich dazu beitragen darf, Isis groß zu machen.
Dafür werde ich mich gänzlich geben und mir alle Gesetze zu eigen machen.
Auch werde ich versuchen, tiefer und natürlicher zu denken und werde mich bereit machen.
Wenn Ihr mir diese Gnade zuteil werden lassen wollt?
Ich werde dienen und mich dem mit Körper und Seele widmen.“
„Könnt Ihr Eurem Meister Euer Vertrauen schenken?
Wollt Ihr ihm in allem folgen?“
„Wenn ich mich selbst der Untreue bezichtigen kann, großer Meister, so werde ich mein Herz durchbohren und meine Seele den Göttern opfern, oder Euch fragen, wie ich mich davon befreien kann, sodass die Gesetze des Tempels der Isis die Meinigen werden.“
„Ihr seid kraftvoll, jedoch noch sehr jung.
Ihr müsst wissen, dass wir Euch helfen.
Wir fordern völlige Hingabe, wir alle haben Euch folgen können und die Beschwerden von Meister Dectar sind gerechtfertigt.
Ihr müsst Euch klarer einzustellen versuchen, vor allem, wenn Ihr ruht und Euer Tagwerk getan ist.
Ihr begebt Euch zur Ruhe und schlaft, doch während des Schlafes sollt Ihr wach bleiben.
In Euch ist kein heiliger Ernst, und Ihr spielt mit Eurem Leben.“
Es folgte eine tiefe Stille, und man stellte sich erneut auf mich ein; mein Vater sagte: „Ihr seid noch nichts, Schüler, Ihr verirrt Euch in Eurem eigenen Leben, und Ihr seid kein Kenner des Todes, und Euer Weg ist nicht begehbar.
Ihr hättet bereits große Fortschritte machen können, doch in Euch ist keine Ernsthaftigkeit.
Wir wollen, dass Ihr dient und die Gesetze befolgt.
Ich verstehe jetzt, warum Meister Dectar sich über Euch beschwert.
Wir als die Meister dieses Tempels wollen, dass Ihr alles tut, um an Euch selbst zu arbeiten.
Ich berücksichtige, dass Ihr den Tod nicht kennt, und Ihr müsst damit eins sein.
Ihr vergesst, dass Ihr zwischen Leben und Tod lebt.“
Zu Dectar sagte er: „Geht nun, Meister, und befolgt meine Befehle.“
Ich folgte Dectar hinaus, spürte ihn jedoch nicht, er war für mich immer noch unerreichbar.
Mein Freund war tot.
Es schmerzte mich, und ich schleppte mich zurück in meine Zelle.
Als wir eintraten, erschrak ich.
Wo mein Ruhelager gestanden hatte, stand nun ein Sarg.
Diese Kasteiung verstand ich, Dectar hatte mir davon erzählt.
Warum wurde ich bestraft?
Die Wärme, die ich in ihm gespürt hatte, war nun aus ihm gewichen.
Ich hätte weinen können vor Kummer und Schmerz.
Er sagte zu mir: „Seht Ihr, Priesterschüler, der Tod wartet auf Euch, und Ihr könnt einschlafen.
Dies ist, um Euch eins zu machen mit Seiner Majestät dem Tod.
Ihr werdet ihn nun kennenlernen, denn dahinter lebt Euer eigenes Wissen, und weshalb Ihr hier seid.
Ihr spielt ein Spiel mit Euch selbst.
Macht Euch deshalb eins mit ihm und Ihr werdet erfahren, warum dies ist.
Ihr schlaft nun in einem Bett, das uns alle erwartet, doch Ihr lernt es schon jetzt kennen.
Hierin hört Ihr den Herzschlag dessen, den man „Tod“ nennt, und Ihr werdet lernen, ihn anzunehmen, auf dass heiliger Ernst in Euch sei.“
„Bist du das selbst, Dectar“, fragte ich mich, „oder bist du besessen, oder gehörst du zu all den schrecklichen Menschen, die ich hier kennengelernt habe?“
Aber er spürte mich nicht, er wollte mich nicht mehr spüren und nicht mehr verstehen.
„Nun denn“, so dachte ich, „sehr gut, von nun an werde ich meinen eigenen Weg gehen.
Du bist für mich tot.“
„Geht hinein, Priesterschüler der Isis, und streckt Euch und schlaft, wenn Ihr schlafen zu können meint.“
Ich sah ihn an und war in Gedanken, doch erneut sagte er: „Geht hinein, Schüler.“
Ich legte mich in meinen Sarg.
In jeder Ecke brannte ein kleines Licht, mein Totenlager war wunderschön.
Ich schloss die Augen.
Bis auf meinen Lendenschurz war ich nackt.
Ich legte die Arme neben mich und spürte Dectars heftige Wirkung.
Dann spürte ich, wie eine neue Welt in mich kam, die mich eins machte mit Seiner Majestät dem Tod.
Einschlafen war nicht möglich, und ich begann zu denken.
Zuerst umgab ich mich mit einer neuen Mauer, die von uns beiden war zerstört.
Ich musste nun an mich selbst denken und den Ernst meines Hierseins fühlen und verstehen.
Noch spürte ich Dectar, doch zugleich, dass er fortging.
Als das geschah, glaubte ich, dass mein Herz zerbrach.
Nun war ich allein mit dem Tod.
Dann brach ich in Tränen aus.
Den ganzen Abend und bis tief in der Nacht weinte ich und konnte nicht aufhören.
Endlich erlangte ich meine Selbstbeherrschung wieder.
Dennoch fühlte ich mich ein wenig entspannt, und ich baute meine eigene Persönlichkeit wieder auf und begann erneut zu denken.
Doch jetzt anders als zuvor.
Von meinem Meister fühlte ich mich gänzlich gelöst, und das war, was ich zu erreichen versucht hatte.
Nun stellte ich mich auf meinen neuen Zustand ein.
Trotzdem kehrte ich wieder zurück zu ihm und begann erneut, Fragen zu stellen.
Dectar war ein Dämon oder nicht mehr normal.
Wenn ich mich vergessen hatte, weshalb hatte man mich dann nicht vernichtet?
Oder musste ich noch größere Dummheiten begehen?
Je mehr ich dachte, um so unklarer wurde alles, was mit ihm zu tun hatte.
Wie schön waren unser Band und unser Einssein, doch davon war nichts mehr übrig.
Mir war er Vater und Mutter gewesen, und nun dieses Ende?
Nichts war mehr davon übrig.
Ich würde nun eine eigene Mauer und einen eigenen Schutz errichten, und ich würde darin bleiben.
Von meinem geistigen Leiter spürte ich nichts, womöglich war auch er zornig.
Sollte das so sein, dann glaubte ich nichts mehr und wollte seine Stimme nicht mehr hören, und dann gehörte auch er zu den Dämonen.
Wie gefährlich war dieses Leben.
Dennoch nahm ich mir vor, mich ganz meiner Aufgabe zu widmen und mich bereit zu machen, auf dass ich die Priesterschaft erlangte.
In diesen wenigen Stunden war ich bereits ein völlig anderer Mensch geworden.
Nun musste ich alleine weitergehen, doch ich forderte sie alle heraus, so groß sie auch sein mochten.
Wenn sie mich noch mehr bestrafen würden, so würde ich ihnen zeigen, dass Dectar ein Wahnsinniger war.
Und trotzdem musste ich vorsichtig sein.
Und wenn er es mir hier unmöglich machte, würde ich um einen anderen Lehrer bitten, und dann wäre ich von ihm erlöst.
Soweit war ich gekommen, und ich ging von selbst in meinen neuen Zustand über.
Der Tod kam zu mir.
Ich lag in meinem Sarg.
Um mich herum war die Umgebung festlich geschmückt, in den vier Ecken brannte das Licht zu seinen Ehren.
Auf der Erde starben die Menschen, und dennoch, das wahre Sterben war nicht einmal möglich.
Aber ich verstand den heiligen Ernst dieser Kasteiung sehr gut.
Das war, um meine Jugend zu vernichten.
Ich spielte mit den Wundern?
War die Gefahr noch größer als ich dachte und fühlte?
Von meinem geistigen Leiter hörte ich noch immer nichts, aber er würde davon wissen, er wusste alles über mich und Dectar.
Das bedeutete, zu sterben.
Doch hier hinter lag ein mächtiger Raum.
Ich lernte diese Majestät kennen und dachte weiterhin, die ganze Nacht, denn ich konnte nicht einschlafen.
Hielt man mich wach?
Die ganze Zeit über folgte ich verschiedenen Sterbebetten, die Menschen erleben konnten, von denen dieses eigentlich das schönste war.
In vollkommener Ruhe würde ich nun sterben und mich dafür bereit machen können.
Andere Menschen würden wiederum auf andere Arten sterben, und für viele kam dieser machtvolle Vorgang unerwartet.
Sie waren natürlich nicht bereit und nicht vorbereitet auf dieses große Ereignis.
All diese Menschen waren bereit für Tausende nichtssagende Dinge und ganz darauf vorbereitet, doch für ihn, diese unbeschreibliche Größe, nicht.
Man dachte kaum an ihn.
Man widmete diesem großen und dennoch in menschlichen Augen so abscheulichen König keinen einzigen Gedanken, nichts.
Unversehens kam er bei den Menschen zu Besuch und meldete sich, man musste dann akzeptieren und das Unvermeidliche geschah.
Doch dann, ja, was würde dann geschehen?
Ich folgte diesem König auf seiner unmenschlichen Reise, denn er brachte Leid und Schmerz, nichts als Elend, und dennoch war er so sanftmütig, so unglaublich gut, doch das verstand niemand; die Menschen wollten es nicht verstehen.
Dieses Geheimnis kannte man nur hier und in anderen Tempeln.
Die Menschen wollten alles voneinander erfahren und erzählten sich ihre Erlebnisse, doch nicht ein einziger sprach in Liebe von ihm, den ich erst jetzt deutlich kennenlernte, auf dass heiliger Ernst in mich kam.
Da ich nun mit ihm verbunden war, könnte ich ihm beinahe dankbar sein, denn es verlieh mir Bildung.
Was ich nun fühlte und erlebte, war machtvoll.
Wenn Dectar noch mein Freund wäre, könnte ich nun sehr glücklich sein, denn es schmerzte mich immer noch, dass ich meinen Freund verloren hatte.
Meine Eltern hatten den Tod bereits kennengelernt, und ich begriff nun, wie wundersam tief meine Mutter war.
Ich erinnerte mich ihrer Worte: „Wohin würden wir gehen, lieber Venry, wenn alle Wege versperrt sind?“
Dann sagte sie noch: „Wenn du am Leben bleiben willst, so stirb mit mir, Ardaty.“
Wenn man starb, lebte man eigentlich erst.
Mutter war groß, sie war innerlich bewusst, und auch ich hoffte, dieses Bewusstsein zu erlangen und mir zu eigen zu machen.
Und sie waren am Leben, sie und Ardaty.
Dennoch waren sie gestorben, aber nicht in einem Sarg, ihr Sterben war durch die Naturgewalten geschehen.
Ihr irdisches Leben hatten sie aufgegeben und ein neues Leben empfangen, ein wunderbares Kleid und das Glück ihres eigenen Paradieses.
Wer nicht vorbereitet war, spürte Angst und zitterte vor dem Tod.
Diese Kasteiung war eigentlich für alle gut, denn dabei lernte man denken und alles zu lieben, was gut war.
Für viele bedeutete es innere Entwicklung, sodass sie binnen kurzer Zeit erwachten, innerlich größer und bewusster wurden, wie ich es nun erlebte.
Dann konnte er auch nicht unerwartet zu ihnen kommen, sie wussten vorher, dass er kommen würde, eigentlich waren sie immer bereit, und dann gab es kein Warten.
Man konnte mit ihm reden, denn dieser König war sehr weise.
Er kannte jeden, kannte die Tiere, das Pflanzen- und Blumenleben und kannte alle Leben, weil er dem inneren Leben folgen konnte.
Die Größe der Seele durchblickte er, er brauchte nur zu sehen und zu fühlen, und darin war er unfehlbar.
Für ihn gab es kein Sterben, auch kein Leid, keinen Schmerz, doch eine Reise in die Ewigkeit.
Ich war dort erst kurz zuvor gewesen, obwohl all diese Erlebnisse schrecklich für mich waren.
Und dennoch, so hörte ich ihn sagen: „Von den Menschen werde ich gehasst, Venry.
Warum hassen die Menschen mich?
Weil sie mich nicht kennen.
Siehst du nicht all die wundervollen Dinge wie die Blumen, die schönen Bäume und all die prächtigen Häuser und Gebäude, und nicht zu vergessen die Tempel?
Und dann alle Menschen und Tiere, die ich zu mir rief.
Wenn ich traurig bin, Venry, dann nur, weil sie mich nicht kennen wollen.
Nicht ein einziger Mensch auf der Erde, lieber Venry, liebt mich wahrlich.
Und bin ich nicht besorgt um sie?
Natürlich, sie müssen Sorge tragen, dass kein Hass in ihnen ist, dass sie mit meinem Leben im Einklang sind.
Aber sie müssen das wollen, Venry, sie dazu zwingen, das tue ich nicht.
Oh, sieh hin, Venry, wie ihre Häuser sind, in denen sie wohnen, nicht solche Hütten und Höhlen, in denen sie auf der Erde leben, nein, mein Junge, es sind große, sehr große Gebäude und gar Tempel, die sie von mir erhalten.
Und all die Gebäude sind geschmückt, die Vögel kommen zu ihnen und singen mein Lied, das Lied der Freude und des Glücks, des Einsseins, der heiligen Liebe, Venry.
Und dennoch hasst man mich, werde ich gehasst, doch sie werden mich kennenlernen, wie du mich nun siehst und deine Mutter mich bereits kennt.
An alles denken die Menschen auf der Erde, jedoch nicht an mich.
Lediglich dann, wenn ich komme.
Und glaube mir, lieber Venry, ich zögere mein Kommen so lange wie möglich hinaus, denn ich weiß, wen und was sie lieb haben.
Sie denken, dass ich ihnen helfen werde, Kraft zu erflehen, doch das ist zu töricht, zu einfach, zu kindisch, lieber Venry, sie müssen es selber wollen.
Aber nicht im allerletzten Augenblick, Venry, nicht, wenn ich sie bitte, mich einzulassen, denn dann nützt es nicht mehr und es ist bereits zu spät.
Ich muss dann handeln, und es darf kein Mitleid in mir sein, lieber Venry.
Ich bin dann hart und schrecklich, sodass die Menschen weinen und nicht mehr aufhören können.
Glaubst du, Venry, dass ich kein Herz habe, in dem Blut fließt?
Es schlägt vor Freude und Glück wie bei den Menschen.
In ihren Augen bin ich der Vernichter all ihres Glücks, man hasst mich so, wie niemand gehasst wird, und dennoch, Venry, blicke in mein Herz und lerne mich nun kennen.
Wenn ich alte Menschen rufe, zu mir zu kommen, nun, Venry, sind ihre Gefühle und Gedanken manchmal mild und liebevoll, weil diese alten Menschen besser zu mir gehen können als dort zu bleiben und es den anderen lediglich schwer zu machen.
Aber wehe, mein Junge, wenn ich ihr Kind oder ihre Geliebten rufe, die hier weitergehen sollen, weil ihre Zeit und ihr Leben dort vorbei sind, dann werde ich verflucht, gehasst und geschmäht wie niemand sonst auf der Erde.
Doch wenn ich komme, müssen sie zu mir kommen, weil sie die Gesetze in meiner Welt kennenlernen müssen, und ihr Leben dort enden muss.
Manchmal ziehe ich mich in die Einsamkeit zurück und überdenke alles, all ihr Leid und ihren Schmerz, und dennoch, lieber Venry, kann ich nicht anders handeln, sie müssen zu mir kommen, denn ich bin die Ewigkeit.
Als ich, nach meiner Geburt, mein Erwachsenenalter erreichte und meine Aufgabe beginnen musste, welche die Götter mir auferlegt hatten, damals, mein lieber Junge, wurde ich wütend und schwebte durch mein Haus, ging von Ost nach West, von Süd nach Nord, blitzschnell durch das Universum, um meine Wut abzukühlen und meinen Schmerz und all diesen Hass zu vergessen.
Doch ich konnte dem nicht entkommen, meine Aufgabe ist nun einmal hart, streng und schrecklich, und so beugte ich mein Haupt, weil die Gesetze so sind.
Ich möchte es dir schon erzählen, lieber Venry, denn da du nun allein im Leben stehst und aus eigener Kraft weiter musst, kannst du mir folgen und gut zuhören.
Nun denn, Jahrhunderte vergingen, Venry, in denen ich nichts anderes mehr tun konnte als mich leerweinen.
Findest du das so merkwürdig?
Auch du hast dich ganz leergeweint, nicht wahr?
Und dennoch, auch ich fühlte mich danach heiter, machte mich erneut an die Arbeit, überdachte meine menschlichen Gefühle und rief sie zu mir, jedoch ohne Mitleid, ohne Pardon, König oder Kaiser, arm oder reich, ein jeder musste und sollte kommen, Venry, mein Befehl ist für sie vernichtend.
Wie habe ich gelitten, mein Junge, und noch immer, immer noch, weil sie mich hassen.
Natürlich, das, in dem ich lebe, macht alles wett, die Götter gaben mir den Raum; Sterne und Planeten gehören mir und sind das Schmuckwerk meines eigenen Hauses.
Und noch dazu das Licht und die Finsternis und all jene Welten, die du jetzt schon kennengelernt hast.
Ist das nicht fabelhaft?
Sicher, lieber Junge, dieser ganze Besitz verlieh mir Kraft und Macht, aber auch Verantwortung.
Die Götter folgten auch mir, aber der oberste Gott, lieber Venry, ruft auch mich manchmal zu sich, und dann muss ich klar und deutlich erzählen, wie all Seine Kinder sind.
Die Menschen auf der Erde glauben, dass ihr Gott das nicht weiß, Venry, aber auch ich muss die Gesetze befolgen.
Einmal in Jahrtausenden, denn du spürst bestimmt, ich lebe in einem unermesslichen Raum, muss ich zu „Ihm“ kommen.
Unser Gespräch müsstest du einmal hören können, lieber Venry, denn es ist sehr lehrreich.
Dann muss auch ich all die Fragen beantworten.
Du musst mir glauben, wenn ich sage, dass ich manchmal zum Guten versuche zu verschweigen, um vielen Menschen viel Leid und Schmerz zu ersparen, wenn ich sehe, dass sie ihr Bestes tun.
Manchmal gelingt es mir, und dann ist der oberste Gott in einer guten Laune, weißt du, aber sehr oft sieht Er mich an und ich weiß, dass er mich durchschaut.
Eigentlich kann Er alles sehen, aber dann hat Er Mitleid.
Dennoch, so sagt er, sollte man mit all den Kindern kein Mitleid haben, denn dann lernen sie nicht, und sie kommen niemals zu Mir zurück.
Und darin liegt die Absicht, lieber Venry, denn all die Kinder sind Götter, sind Kinder des obersten Gottes.
Wenn ich dort bin und zu Ihm gehe, kommen die Engel und lindern mein Leid, und ich empfange alles.
Sie singen und tanzen, lieber Venry, und das im Raum?
Es ist kaum fassbar, mein Junge, aber dort ist ein jeder glücklich, es gibt nichts mehr in ihnen, das sie stört.
Der Palast des oberen Gottes ist aus ätherischem Stoff gebaut.
Wenn Seine Kinder gute Taten vollbringen, in Liebe leben und einander aufrichtig lieben, vergrößert das Seinen Palast und die Kristalle werden golden und silbern und der Gesang der Engel ist so rein, wie allein die Lotusblüte an Ausstrahlung besitzt.
Jeder einzelne gute Gedanke repräsentiert ein einziges Kind, ist ein Teil Seines mächtigen Gefühls, das der unermessliche Raum ist, in dem Er lebt.
Doch wenn die Menschen hassen, lieber Venry, dann zittert und bebt auch dort alles, und der obere Gott sieht, was sie tun, und das wird aufgezeichnet.
Wenn ich wieder zu vollen Kräften gekommen bin, muss ich zurückkehren zur Erde in all die anderen Körper.
Dann stehe ich wieder inmitten von jenen, die mich verfluchen, aber das kann ich dann ertragen, denn das, was ich dort erhielt, ist nicht zu benennen.
Nach Gott, lieber Venry, komme ich.
Du meinst doch nicht, dass ich eitel bin?
Meine Aufgabe ist nun einmal nicht anders, und die Würde meiner Größe habe ich akzeptieren müssen.
Mein Meister heißt eigentlich „Das Leben“, und mich kennst du.
Man nennt mich „Den Tod“.
Doch bin ich tot?
Hörst du nicht, wie ich zu dir spreche?
Als wir begannen, zum sichtbaren Leben zu gehören, glaube auch das, lieber Venry, wollte keiner von uns beiden seine Aufgabe akzeptieren.
Wir spürten, dass das eine wie das andere bedeutete, dass wir verflucht würden.
Auch darüber vergingen Jahrhunderte, bis mein Meister und ich zu einem Entschluss kamen.
Dennoch haben wir unsere Tätigkeit nicht freiwillig übernommen, Venry, aber die Stimme in uns hat entschieden.
In mich kam mein eigentlicher Name, wie in dich Gefühle kommen und deine Mutter es erlebt hat, und dann verstand ich meine Aufgabe.
Ich würde „Tod“ heißen und Er, der vor mir lebte und somit älter war als ich, „Das Leben“.
Wenn ich deine Frage beantworte, lieber Venry, dann tue ich das, weil du so tapfer bist und mir zuhören willst.
Nein, mein Lieber, Er lebte vor mir, denn als es noch kein Leben gab, konnte es auch keinen Tod geben.
Zuerst kam „Das Leben“, dann wurde ich geboren und ich zog all das Leben zu mir.
Eigentlich hatte ich schon damals meine Aufgabe angenommen, doch unser Fragen und Rufen, zu erfahren, wer nun „Tod“ hieß oder „Das Leben“, liegt dazwischen.
Das Leben war noch sehr jung, Venry, schon damals musste ich es zu mir rufen.
Dann fragten wir uns, was sie tun würden, und wir kamen zu einem Entschluss.
Der obere Gott zu sein, lieber Venry, ist auch nicht sehr einfach.
Ich weiß, dass man mich verflucht, aber mein Meister bittet mich um die unmöglichsten Dinge.
Mein Meister kann doch nicht aus all seinen Kindern Könige und Kaiser machen?
All die Fragen und Gebete, lieber Venry, kommen zuerst zu den Engeln, und sie prüfen sie und folgen dann den Menschen auf der Erde und sehen, dass sie lügen und betrügen.
Sie ersparen ihrem Meister durch all die finsteren Dinge sehr viel Schmerz, weil Seine Aufgabe schon unsäglich ist.
Wenn ich dann dort bin, besprechen wir all diese Dinge.
Dadurch lernte ich, lieber Venry, und ich habe sehen können, dass meine eigene Aufgabe doch noch die einfachste ist.
Ich habe nur ein einziges Ziel, muss nur an eine einzige Sache denken, und das ist, sie zur rechten Zeit zu mir zu rufen.
Doch mein Meister braucht Millionen von Helfern, um all die Gebete und Bitten und Fragen und Gedanken zu prüfen, denn die Menschen sind darin sehr schlau, manchmal sarkastisch oder voller Mitleid oder aufrichtigen Sehnens, doch meistens ist die reine Liebe verloren und sie versuchen, Gott zu täuschen.
Die Opfer, die sie bringen, sind meistens der Überrest, lieber Venry, der vom wilden Tier verschmäht wird.
Ist es dann so merkwürdig, dass Gott Seine Ohren verschließt?
Glaube mir, lieber Junge, aufrichtige Gefühle werden immer erhört, aber es muss auch möglich sein, sie zu verwirklichen.
Sie bitten um die unmöglichsten Dinge und meistens um Glück, sei es Gold oder Silber, Königs- oder Kaiserwürde und um sehr viele Sklaven und irdischen Besitz.
Doch du solltest sie dann sehen, Venry, sie vergessen sich und verdammen durch ihre Taten ihren eigenen Meister.
Und das kann doch nicht sein?
Nein, mein Junge, dann ist meine Aufgabe einfacher.
Und dennoch denken sie nicht an mich.
Doch gibt es etwas auf der Erde, das mir ähnlich ist?
Gibt es etwas, das so natürlich ist?
Gibt es etwas, Venry, das sich lohnt, daran zu denken?
Kann es etwas geben, das mir gleichkommt?
Können irdische Könige mir gleichen?
Ist der Pharao so mächtig, wie ich es bin?
Denke darüber einmal nach, mein Junge.
Was spürst du jetzt?
Wenn ich zu ihnen komme und sie zu mir rufe, müssen sie auch gehorchen, nicht ein einziger kann dem entrinnen.
Und dennoch, lieber Venry, man verehrt ihn, die Menschen beten ihn an und folgen ihm aufs Wort und knien sogar vor ihm nieder.
Wenn ich das sehe, kann ich nur lächeln, mehr und andere Gefühle habe ich dafür nicht übrig.
Aber wie nichtig ist so ein König, Venry, im Vergleich zu mir.
Glaube mir, und du kannst es jetzt spüren, denn in dich kommt meine Ruhe und meine Stille, nein, Frohsinn, Freude, sehr viel Freude, und das nur, weil du mein wahres „Ich“ kennenlernst.
Und was tue ich, lieber Venry?
Wenn ich die Kranken besuche und sie zuvor meine Ruhe spüren lasse, rufen sie alle irdischen Gelehrten zu sich, um meine Ruhe und die große Freude und gleichfalls meine heilige und reine Stille nur zu besudeln.
Und dennoch, ich bleibe, ich herrsche weiterhin, all die Gedanken und Arzneien, ich rufe, lieber Venry, und meine Stimme, mein Befehl wird befolgt.
Krankheit und andere Erscheinungen, die das Herz schmerzen, wollen sie von mir nicht empfangen.
Und nehme auch dies hin, mein Junge, es gehört mir nicht einmal, es gehört meinem Meister, dadurch müssen sie mich kennenlernen.
Du verstehst sicher, wir beide sind in allem eins und müssen eins sein, denn sowohl „Leben“ als auch „Tod“ sind untrennbar miteinander verbunden.
Wenn ich es dir noch deutlicher erklären möchte, so sage ich Folgendes.
Aus dem Einen entstand das Andere.
Noch deutlicher, Venry, ist, nach „Dem Leben“ oder durch „Das Leben“ kam „Der Tod“.
Der Tod ging aus dem Leben hervor, weil es Leben gab.
Spürst du es, Venry?
Doch du solltest sie sehen, mein Junge.
Ich warne sie immer wieder, doch sie hören nicht.
Sie vergessen all jene Ermahnungen immer wieder und leben ihr eigenes Leben und lassen sich durch nichts stören.
Doch darin sind sie töricht oder wahnsinnig, denn wer treibt denn Spott mit diesem so unbekannten, ungeheuren, unermesslichen, ja, göttlichen Gesetz?
Aber sie sind und bleiben leichtsinnig.
Natürlich, es gibt auch solche, die sich gänzlich hingeben, aber dann haben sie auch sehr viel gelernt.
Der eine kommt ruhig, ein anderer plötzlich, manche durch das Gift anderer.
Wiederum andere durch ein Unglück, und dennoch, lieber Venry, alle kommen sie zu mir.
Sie erleben nur eine einzige Sache, und das ist „hineingehen“ in mein Königreich, in dem es keinen „Tod“ gibt, denn ich bin „Das Leben“.
Ich bin eins mit Gott, und wir werden eins bleiben.“
So sprach der Tod zu mir, und ich hörte alles.
„Natürlich, so ist es“, sagte ich zu ihm.
„Siehe den Raum, in dem ich nun daniederliege, er ist des Bettlers.
Doch Ihr macht keinen Unterschied, alle, auch die Reichen, alle liegen wie ich in ihrem Sarg und müssen zu Euch kommen.
Das kleinste Insekt gräbt sich „hinein“ und ist reich, aber Ihr wisst, warum das so ist.
Ich kann Euch nicht hassen, ich werde Liebe für Euch empfinden und bin bereits dankbar, dass ich Euch von so Nahem habe kennenlernen dürfen, und dass Ihr zu mir gesprochen habt.
Darf ich Euer Freund sein?
Ich spüre schon jetzt Euer warmes Herz, Euer Herz schlägt aus reiner Liebe, in mir und um mich herum, aber ich höre es ganz klar schlagen.
In meinem Sarg ist es nicht kalt, Ihr seid ganz warm.
Doch arm seid Ihr, mein Freund, für jene, die Euch nicht kennen.
Im Grunde seid Ihr unsagbar reich, die Vielheit Eures Reichtums überstrahlt mich, sie ist in mich gekommen und lindert meine Trauer und lässt meinen Hass verstummen, sodass ich alles vergessen und vergeben kann.
Wenn ich Euch nun kennenlernen und Euren mächtigen Willen spüren werde, so ist das, weil ich in Eurer Nähe lebe und eins bin mit Euch, in Leben und Tod.
Keine bessere Kasteiung hätte man sich für mich denken können.
Ich lerne und werde bewusst, und ich bin Euch sehr dankbar.
Ich spüre Eure Wärme in mich kommen, die meine Seele stärkt.
Ich will hinnehmen und werde stets in Freude und Ruhe, doch auch in Leid und Schmerz weiter an Euch denken.
Die Kräfte, die ich nun spüre, werden mir helfen, mich bereit zu machen, sodass ich die Priesterschaft erlangen werde.
Danach werde ich, weil ich Euch kenne, die Großen Schwingen besitzen.
Ihr seid für viele schrecklich, doch der unermessliche Raum ist in Euch und Eure Weitsicht ist mächtig.“
Stundenlang sprach ich mit dem Tod.
In mich kamen Tiefe und geistiges Alter.
Meine Zelle war vollkommen leer, dies schloss alles und jeden aus, ich war ganz eins mit dem Tod.
Heiliger Ernst war nun in mich gekommen, und dieser würde in mir bleiben.
Wie wundersam schnell hatte ich mich verändert.
Meine Seele sehnte sich nach Tiefe, und ich selbst wurde darin bewusst.
Tief waren die Gedanken und Gefühle des Todes.
Das Kindliche und Verspielte war aus mir gewichen und getötet, in nur kurzer Zeit hatte ich mich selbst kennengelernt und ich fühlte mich sehr glücklich.
Die Nacht wich dem Tag, doch ich war immer noch damit beschäftigt, zu denken, dem Tod zu folgen in seinen Tausenden von Stadien des Dahinscheidens und Sterbens.
Die Lichter brannten immer noch, ein Zehntel ihres Inhalts hatten sie erst verbraucht.
Ich hörte, dass an meiner Zellentür gerüttelt wurde und jemand eintrat.
Wer es war, konnte ich nicht sehen, ich lag zu tief in meinem Sarg.
Es war mir nur möglich, zu fühlen und mich darauf einzustellen.
Dectar war es nicht, sein Einfluss und seine Ausstrahlung waren anders.
Ein sonderbares Gefühl kam in mich, und daran stellte ich diese unbekannte Persönlichkeit fest.
Diese Gefühle bauten sich vor mir auf, und ich erblickte die Person, deutlich konnte ich sie wahrnehmen.
Diesen Priester kannte ich nicht.
Was er hier wollte, erlebte ich schon bald, weil er meinen Körper beträufelte.
Auch das verstand ich, denn ich übernahm es von ihm.
Wer in den Tod ging, benötigte keine Nahrung.
Also bekam ich nichts, ich müsste mich damit vereinen.
Wahrlich, so dachte ich, Isis ist mächtig, auch hierin tief.
Erneut begann ich zu denken, denn ich konnte nicht einschlafen.
Die ganze Nacht hatte ich kein Auge zugetan, ich würde und musste wach bleiben, oder ich lernte nichts.
„Wenn Ihr möchtet, versucht zu schlafen“, sagte Dectar, doch es war mir nicht möglich.
Auch hierin war Isis groß und tief, ich würde fast sagen, vollkommen.
Dann eben denken, immer und immer wieder erneut denken, alles und alles von meiner Jugend an nacherleben und es mir zu eigen machen.
Ich vollzog deshalb mein ganzes Leben nach, vom Kleinkind an folgte ich allem.
Nichts war verloren gegangen, alles kehrte zurück in mein Bewusstsein, mit dem ich nun auch eins war.
Als ich damit fertig war, war der Tag schon wieder vergangen und die Nacht nahte heran.
Nun folgte ich dem, was Dectar mich gelehrt und was wir zusammen besprochen hatten.
Sein Fühlen und Denken saugte ich nun in mich auf, denn seine Weisheit gab mir nun Ruhe und auch Dankbarkeit, sodass ich keinen Hass mehr gegen ihn hegte.
Es ist doch sonderbar, so dachte ich, wenn es noch lange dauert, bin ich ihm sogar dankbar für alles, was ich nun erleben darf.
Meine Liebe zu ihm kehrte wieder zurück zu mir, und das machte mich sehr glücklich.
Von meinem geistigen Leiter hörte ich noch immer nichts.
Doch je mehr ich an Dectar dachte, um so dankbarer wurde ich.
Als ich soweit gekommen war und ihn wieder akzeptierte, kehrte auch meine Liebe wieder in mich zurück, doch auch die Nacht war schon wieder vergangen, weil die Sonne aufging.
Es war mir nicht möglich gewesen zu schlafen, ich musste wach bleiben.
Erneut erlebte ich das Beträufeln meines Körpers, und das bedeutete mir eine wohltuende Erfrischung.
Zwei Tage und Nächte lebte ich bereits in meinem Sarg, und noch immer brannten die Lichter und wollten nicht sterben.
Wenn sie in den Tod gingen, gehörte ich wieder zu den Lebenden und mein Einssein mit dem Tod wäre vorüber.
Und es war sehr sonderbar, Durst oder Hunger verspürte ich nicht einmal.
Ich war zu intensiv eins und verbunden.
Also begann ich erneut zu denken und folgte all den menschlichen Sterbelagern und sehnte mich sehr innig danach, dass der Tod wieder zu mir käme, denn durch ihn lernte ich sehr viel.
Am Tage fühlte ich Ihn weit entfernt von mir, aber in der Dunkelheit war ich vollkommen eins.
Der Tag kam mir vor wie ein Jahrhundert, so sehr sehnte ich mich nach der Dunkelheit.
Ich begriff, dass die Lichter vorläufig noch weiterbrennen würden.
Alles ging denselben Weg, kein einziger lebender Organismus konnte dem entkommen.
Am Tage erlebte ich diese tödliche Ruhe, und ich machte mich sozusagen bereit für die Nacht, um gut und klar zuhören zu können.
Den Tempel der Isis und all die Meister hatte ich vergessen.
Ich dachte einzig an Ihn, Seine Majestät „Den Tod“.
Darin war ich nun sehr innig bewusst, dieses Bewusstsein war erst kurz in mich gekommen.
Ich befolgte dennoch die Gesetze der Isis und machte sie mir zu eigen.
Auch wollte ich mir die unsichtbaren Gesetze zu eigen machen, von denen „Der Tod“ mir erzählt hatte.
Langsam verstrich der Tag, und es wurde wieder Abend.
Müdigkeit verspürte ich nicht, mein Körper war jedoch starr, als wäre kein Leben mehr darin.
Es wurde schon dunkel, die Sonne war längst untergegangen, im Tempel war jeder eingeschlafen, nur ich lag noch wach.
Ganz sicher, diese Kasteiung heilte mich, brachte geistige Tiefe in meine arme Seele, und das Erwachen hob mich empor, sodass eine andere Stille sich näherte, wieder anders als vorher, als gestern, und vorgestern, diese war wiederum tiefer, noch ruhiger, würde ich sagen.
Es muss nach Mitternacht gewesen sein, als ich die leisen Schritte des Todes näherkommen hörte.
Mit Ihm musste ein eiskalter Lufthauch zu mir kommen; jetzt jedoch wurde ich sehr warm.
Seine Majestät war im Anzug.
Lange brauchte ich nicht zu warten, und als eine wahrhaftige Gestalt sah ich ihn vor mir.
Er sagte zu mir: „Gute Nacht, lieber Venry.“
„Gute Nacht, Majestät, Ihr kehrt zu mir zurück?“
„Ich habe dein Sehnen gespürt, lieber Junge, und so komme ich und erzähle dir von meinen Erfahrungen, die ich soeben wieder machen musste.
Ich sage „musste“, lieber Venry, denn sie wollen nicht hören und nicht zu mir kommen, und du ahnst es, ich musste dann wieder Gewalt anwenden, und das ist sehr schade.
Ich war bei einem reichen Herrn, er hatte viele irdische Güter, und alle seine Frauen beweinten ihn.
Ich sah all diese Tränen, lieber Junge, doch nicht eine einzige von ihnen meinte es ernst.
Sie hatten ihm gedient, weil sie zum irdischen Leben gehören wollten und um all diesen Reichtum betrachten zu können, obwohl er ihnen nicht einmal gehörte.
Doch ihr Meister, ein hochgewachsener Mann, groß und kräftig, wurde von einem meiner Helfer, einem giftigen Insekt, gestochen und sollte zu mir kommen.
Die Menschen meinen, lieber Venry, dass ich sie quäle, aber das stimmt nicht.
Sie müssen kommen, und dazu ist die Vernichtung ihres Kleides notwendig.
Wie es geschieht, tut nichts zur Sache, Hauptsache, es geschieht.
Nun denn, er raste und tobte vor Wut, doch es half ihm nichts.
Soeben betrat er mein Reich, doch ich habe für ihn keine Bude, keine Hütte, nichts, nichts, lieber Venry, er lebt in der Finsternis und liegt dort und wird warten, bis Gott ihn wieder aufweckt.
Er war viel zu aufsässig.
Ich blickte in sein Leben.
Viel Schönes hat er empfangen, doch er begriff es nicht.
Siehst du, Venry, dann besudeln sie all diese Schätze, und dann verdammen sie meinen Meister.
Heute Nachmittag rief ich viele zugleich.
Es waren Tausende, eine andere Helferin spülte sie über die Erde und saugte sie dann in ihre Tiefen auf.
Lieber Venry, so gibt es viele, die mir helfen, aber „ich“ bin es.
Es war einmal eine Frau, die ihren Mann vergiftete.
Auch sie dachte, mir zu helfen, doch das stimmt nicht, und ich frage mich, wo sie sich da einmischt.
Ich werde selber meine Helfer auswählen, und sie folgen mir sehr gerne.
Du meinst sicher, dass ich sehr viel zu erzählen habe, aber ich muss bald wieder aufbrechen, Venry, diese Nacht habe ich viel zu tun.
Und du solltest nachher schlafen.
Am Morgen wirst du wieder zu den Lebenden gehören.
Wenn du und jene, die du lieb hast, zu mir kommen, so wisse, lieber Junge, dass deine Umgebung festlich geschmückt sein wird, wofür ich selber sorgen werde.
Wenn du dann auf der „Wiese“ bist und mich in all meiner Kraft und Herrlichkeit siehst, dann wird Freude, und zwar himmlische Freude in dein Herz kommen und in die Herzen derer, die auf ewig zu dir gehören.
Du sehnst dich nach Schlaf, Venry, ich weiß, warum, und werde mich daher auch in Stille zurückziehen und meinen langen Weg fortsetzen.
Grüße jene von mir, die zu den Lebenden gehören, die mich kennen und mich akzeptieren wollen, mache ihnen klar, dass ich nur „Liebe“ bin, und lasse sie aufhören, mich zu hassen.
Willst du das tun, lieber Venry?
Lindere meinen Schmerz und erzähle ihnen von all meiner Wärme, auf dass sie erwachen, all jene Schläfer, all jene Träumer, die zu leben meinen.
Mein Junge, ich ziehe weiter und grüße dich, erledige deine Aufgabe und sei kraftvoll, vergiss nie, an mich zu denken, dann wirst du auch immer bereit sein.
Wenn die Sonne aufgeht, ist mein Königreich mit Millionen gefüllt, von denen viele weinen wie kleine Kinder, doch die Kinder hingegen sind wach und bewusst, und ihr Inneres schenkt mir Wärme, sodass auch ich die Herrlichkeit meiner Aufgabe erfassen kann.
Ich grüße dich, mein Freund, auch ich gehe fort.“
Ich dachte lange nach.
Durch diesen Klang, das warme und angenehme Gefühl glaubte ich das Verstehen, das erwachsene Bewusstsein, ja, einen Meister zu fühlen.
Mir schien, als spräche ein Freund zu mir, der mich schon lange kannte.
Es war allerdings sehr sonderbar, und ich nahm meine Gedanken auch nicht an, doch ich meinte, in Ihm meinen eigenen geistigen Leiter zu spüren.
Und womöglich war dies nicht wahr, dennoch hatte ich sehr viel gelernt.
Die Nacht näherte sich dem Tag, doch ich schlief ein.
Am Morgen erwachte ich, noch waren die Lichter nicht erloschen.
Doch die Lampen waren leer gebrannt, bald würden auch sie sterben.
Auch das war sterben.
Nun wartete ich ab, eine nach der anderen verlosch.
Ein Jubeln stieg aus meinem Inneren empor, denn das bedeutete das Ende meines Einsseins mit dem Tod.
Ich würde nun wieder zu den Lebenden auf der Erde gehören und würde mich wieder meiner Aufgabe widmen.
Wenn mir nun erlaubt würde, das Haus des Todes zu verlassen und Ihm für seine Gastfreundschaft zu danken, so wäre ich sehr glücklich.
Ich sandte ein Gebet zu ihm auf.
„Ich danke Euch, oh Tod, für Eure Weisheit, die ich nun empfangen habe.
Ihr machtet mich sehr alt, und das in nur kurzer Zeit.
Ich wurde ganz ich selbst.
Keine größere Macht als Eure, wenn man Eure Macht akzeptiert.
Ich danke Euch, Majestät, für Eure Gedanken, Euer Fühlen, beides habt Ihr mir gegeben, und beides empfing ich umsonst.
Ihr werdet verflucht und gehasst, doch ich habe Euch lieb.
Eure Größe ist in mich gekommen, meine Seele ist bewusst, und ich verstehe Euch.
Ich bin Euch dankbar für die Stille, für Euer mächtiges Haus, diesen Sarg, der mich aufnahm und beherbergte, für das Licht und die Wärme, für alles, denn Ihr habt den Hass in mir getötet.
Ich werde nun nicht mehr hassen können, wenn die Gerechtigkeit zu mir kommt.
Ich habe meine Furcht besiegt, für all das danke ich Euch.“
Die Lichter waren erloschen, die Sonne brachte das neue Licht, doch ich fühlte mich nun todmüde und hatte Durst und Hunger.
Mein stofflicher Körper erwachte, mein eigenes Einstellen hatte ihn davon abgehalten, jetzt gehörte er wieder zum Leben.
Durch mein eigenes Verlangen, arbeiten zu dürfen, verlangte er nach Flüssigkeit und stärkender Nahrung.
Die Tür meiner Zelle öffnete sich, Dectar trat ein.
Ihn zu hassen, war mir nicht mehr möglich, doch ich vermochte noch nicht, zu ihm zu sprechen.
Wie meinen Meister sah ich ihn, und er sagte: „Guten Morgen, Priester von Isis.“
Ich gab ihm keine Antwort.
Dennoch war ich sehr glücklich, dass er zu mir gekommen war, aber ich ließ es ihn nicht spüren.
Er bettete mich wieder auf mein Ruhelager, der Sarg verschwand, und er befeuchtete meine Lippen.
Danach bekam ich kräftigen Kräutersaft zu trinken.
Als ich ihn ausgetrunken hatte, spürte ich, dass meine Gliedmaßen sich entspannten und der Blutkreislauf sich erholte und neue Kräfte in meinen Körper kamen.
Dectar ging fort, er grüßte mich nicht.
Er war nun wie der Tod und die Stille des Grabes.
Ich war wieder allein und schlief ein.
Die Kräuter hatten mich in den Schlaf geführt, aber am Nachmittag erwachte ich.
Dectar brachte mir Fruchtsaft, konzentrierte sich auf mich, und erneut sank ich in einen tiefen Schlaf.
Einige Tage später erwachte ich und fühlte mich vollkommen ausgeruht.
Mein Organismus hatte sich gänzlich erholt, meine Seele besaß nun eine enorme Kraft, denn ich kannte mich selbst nicht wieder.
Meine vorherige Persönlichkeit hatte ich getötet.
Dectar erfrischte mich, pflegte mich, wie meine Mutter es getan hätte.
Ich war darüber sehr erfreut und glücklich, und ich dankte den Göttern bereits, dass sie ihn mir nicht genommen hatten.
Ich dankte den Göttern, dass ich in seiner Nähe sein, seine Persönlichkeit spüren und sehen und seiner ungeheuren Stille und Selbstbeherrschung folgen durfte.
Ich verstand gar nichts, fragte mich, warum ich ihn so lieb hatte und sozusagen lieben musste, weil diese Gefühle sich mir aufdrängten.
Wie sehr hatte ich mich verändert.
Jetzt war ich ganz ich selbst und stand ihm nun von Mann zu Mann gegenüber, obwohl er noch immer mein Meister war.
Meine Jugend war gestorben, ich lebte in einem anderen Kleid, Bewusstsein überstrahlte mein ganzes Wesen.
Ich bereute bereits, dass auch ich ihm keinen „guten Morgen“ gewünscht hatte.
Als er zu mir zurückkehrte und mir etwas kräftigere Nahrung gab, sagte er: „Wenn Ihr möchtet, können wir zusammen nach draußen gehen, so Ihr es wünscht, bleiben wir hier.“
Ich sah ihn an und sagte: „Wenn mein Lehrer meint, dass es mir gut täte, gerne, aber ich bin noch sehr müde.“
Nach einer kurzen Weile traten zwei Priester ein und trugen mich ins Freie.
In einer wunderschönen Umgebung wurde ich hingesetzt, und ich saugte die Naturkräfte in mich auf.
Dectar setzte sich neben mich und las mir die Gesetze von Isis vor.
„Was ist bloß mit Euch geschehen, Fremder, dass Ihr mich nicht mehr erkennt?“
Ich hatte gesehen, dass sein Gang sehr viel besser war, denn er ging nun aufrecht und war wieder ganz normal.
Das hatte er immerhin durch mich empfangen.
Nach einer Weile kam ein Hohepriester zu uns und sprach mit Dectar über meinen Zustand.
Dann trat er zu mir und fragte: „Fühlt Ihr, wie Ihr kräftiger werdet?“
„Habt Dank, großer Meister, ich fühle mich sehr wohl und werde bald bereit sein.“
Er entfernte sich, und ich war wieder mit Dectar allein.
Er sprach kein Wort mehr über unsere Vergangenheit, alles, was er zu mir sagte, hatte mit den Gesetzen von Isis zu tun.
Ich begriff erst jetzt, dass ich eigentlich noch nichts wusste.
Er lehrte mich all die Gesetze.
Schon bald hatte ich mich völlig erholt, und ich begleitete ihn wieder bei den Krankenbesuchen.
Wir waren immer zusammen, aber nie sprach er mit mir wie früher.
Jener Dectar war wie meine eigene Persönlichkeit gestorben.
Aber auch dieser Dectar war mir sehr lieb.
Eigentlich gefiel es mir sehr gut, nun herrschte keine Gefahr mehr.
Von meinem geistigen Leiter fühlte oder hörte ich nichts, und ich sprach auch nicht mit Dectar darüber.
Inzwischen vergingen die Jahre.
Ob Dectar sich noch nach Myra sehnte, auch das wusste ich nicht, und es interessierte mich nicht einmal mehr.
Ob er noch auf Wolken voranschweben wollte, auch das ließ mich kalt, wir hatten das alles begraben, die Vergangenheit vergessen und ein neues Leben angenommen.
Sein kindliches Gerede und seine vielen Leben, die in ihm waren und die ich liebte und deretwegen ich ihn so lieb hatte, hatten sich aufgelöst.
Auch das gehörte der Vergangenheit an.
Er war ganz er selbst.
In den Jahren, die vergangen waren, war er mein Meister und Lehrer gewesen, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Viel hatte ich durch ihn gelernt und mir zu eigen machen können.
Ich akzeptierte ihn und folgte ihm in allem.
Ich wollte die Dinge erleben, und die Fragen „warum und wozu“ hatte ich getötet.
Es war Bewusstsein in mich gekommen, eine große Kraft, und ich fühlte mich nun bereit für die Finsternis.
Eines Nachmittags fragte er: „Meint Ihr, Ihr seid bereit für die Finsternis?
Steigt in Euch selbst hinab, Ihr müsst es wissen.“
Er sah mich fragend an, jeden Augenblick dachte ich, er würde sagen: „Mein lieber Venry“, aber sein Mund öffnete sich nicht, und er behielt all diese lieblichen Worte bei sich.
Doch ich sagte: „Ich bin bereit, Meister Dectar, gänzlich bereit.“
Ich konnte zu meiner Zelle zurückkehren, kein Wort sprach er mehr zu mir, auch er ging fort, aber zu den Meistern.
Am nächsten Tag erhielt ich die Nachricht von ihm, ich solle mich vorbereiten.
Ob er mich wieder wie Jahre zuvor in die Finsternis bringen würde, musste ich abwarten.
Ich war nun seit fünf Jahren im Tempel der Isis.
Andere benötigten dazu zehn Jahre, auch dafür war ich dankbar, dass ich schon jetzt bereit war.
Ich war bereit, dieses Wissen lag in mir.
Kurz bevor ich die Finsternis betreten sollte, fragte ich ihn, ob er sich noch nach Myra sehne, doch er antwortete: „Ich verbiete Euch, mich zu ergründen und solche Fragen zu stellen.“
Ich beugte das Haupt und musste nun hinnehmen, dass die Vergangenheit begraben oder einbalsamiert war, doch Letzteres nahm ich nicht hin.
Dennoch dachte ich: Sieh an, das auch vergessen?
Ich konnte es nicht hinnehmen, daran glaubte ich nicht, es bedeutete alles für ihn.
Doch warum ich dies nicht hinnehmen konnte, war mir nicht klar, niemand gab mir Antwort.
Ich beugte mein Haupt vor diesem Priester, und ich akzeptierte seine Persönlichkeit, die mir sehr lieb war, denn andere waren viel strenger als er.